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Die Fassade des Meininger Theaters. Den Bau finanzierte Herzog Georg II. 1909 aus eigener Tasche.

© Martin Schutt/dpa

Thüringer Theaterreform: Engagiert in Erfurt

Nicht jede Theater-Strukturreform endet im Streichkonzert: Wie Thüringens Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff die Bühnen in die Zukunft führen will.

Italien und Thüringen haben nicht viel gemein. Eines jedoch eint beide: Die Geschichte hat sie überreich mit einem kulturellen Erbe bedacht, das zu unterhalten sie sich eigentlich gar nicht leisten können. 173 Schlösser und Burgen gibt es in Thüringen, dazu rund 300 Herrenhäuser. Weil es dort beim Adelsgeschlecht der Ernestiner üblich war, ihren Besitz jeweils unter den männlichen Erben aufzuteilen, entstanden immer mehr Residenzen – und jeder Duodezfürst etablierte natürlich seine eigene kulturelle Infrastruktur, um angemessen repräsentieren zu können.

Obwohl seit der Wende mehrere Fusionswellen über das Bundesland hinweggegangen sind, gibt es in Thüringen immer noch neun staatlich finanzierte Mehrsparten-Theater sowie drei reine Konzertorchester. Und das bei einer Einwohnerzahl von gerade einmal 2,2 Millionen, mit fallender Tendenz. Gemessen an seinem Gesamthaushalt liegt Thüringen beim bundesweiten Vergleich der Pro-Kopf-Ausgaben für Kultur mit 136,58 Euro an dritter Stelle. Nur Berlin und Sachsen geben mehr aus.

Mit "Reform" meinen die Politiker zumeist: Sparprogramm

Da zudem das Auslaufen des Solidarpakts 2020 schon jetzt in allen mittelfristigen Finanzplanungen der östlichen Bundesländern einkalkuliert wird, ging ein ahnungsvolles Seufzen durch die Kulturszene, als Benjamin-Immanuel Hoff, der Kulturminister in der vom Linken Bodo Ramelow geführten rot-rot-grünen Koalition in Erfurt, eine Strukturreform für die Bühnen- und Orchesterlandschaft Thüringens ankündigte.

Hinter dem euphemistischen Begriff der Strukturreform verbirgt sich in der Politikersprache normalerweise nämlich ein Sparprogramm. In Mecklenburg-Vorpommern war das zuletzt so, wo sich der zuständige Minister von einer Unternehmensberatung ein Papier zusammenschustern ließ, das die ohnehin schon am finanziellen Limit agierenden Institutionen vollends handlungsunfähig machte. In Sachsen-Anhalt agierte die Politik noch brutaler und erklärte kurzerhand, die Subventionen pro Theatersessel, mit der Magdeburg auskommt, künftig auch auf die Standorte Halle und Dessau anzuwenden – ohne den Kontext zu beachten, in dem diese Häuser arbeiten.

Der 1976 in Berlin geborene Hoff, der von 2006 bis 2011 als Staatssekretär in der Berliner Gesundheits- und Umweltschutzverwaltung gearbeitet und anschließend eine Strategieberatungsfirma geleitet hatte, wollte alles anders machen. Mit der Verve des Quereinsteigers und dem Klassenbewusstsein eines Linken-Politikers machte er sich auf die Ochsentour, führte hunderte Gespräche mit den Betroffenen, den Intendanten wie den örtlichen Trägern der Theater, mit den Orchestervorständen und Gewerkschaftern, ja sogar mit den besorgten Bürgern von den Fördervereinen der Institutionen.

Minister Hoff hat hunderte Gespräche geführt

Er fuhr also zum Theater Nordhausen, das mit dem LOH-Orchester Sondershausen liiert ist, er besuchte die Doppelbühne Rudolstadt/Saalfeld sowie das Orchester in Greiz, das dank einer einmaligen, Länder übergreifenden Mischfinanzierung auch das sächsische Reichenbach mitbespielt. Er hangelte sich an der Perlenkette der mittelthüringischen Städte von Eisenach über Gotha, Erfurt, Weimar und Jena bis hin zum einzigen, 1995 aus einer Fusion von Altenburg und Gera hervorgegangenen Fünf-Sparten- Haus des Landes. Und in Meiningen, dem 21 000-Einwohner-Städtchen, dessen Bühne seit den glorreichen Tagen des Theater-Herzogs Georg II. berühmt ist, war Hoff auch.

Überall wurde ihm die traditionsreiche Geschichte der Institutionen unter die Nase gerieben. Auf das Jahr 1491 datiert die Weimarer Staatskapelle ihre Gründung, seit 1635 existiert die Rudolstädter Hofkapelle – und so weiter und so fort. Mit rationalen Argumenten, gar mit betriebswirtschaftlichen Kosten-Nutzen- Analysen, kommt man nicht weit in einer stolzen Region, die Thomas Mann einst als „Herzkammer der deutschen Kulturnation beschrieb.

Das Jugendstil-Theater in Gera
Das Jugendstil-Theater in Gera

© Stephan Walzl/ TTP

Am Mittwoch nun stellte Benjamin-Immanuel Hoff das Ergebnis seines Verhandlungsmarathons vor – und siehe da, abgesehen von einer Zusammenlegung der ohnehin bereits auf 24 Stellen zusammengeschrumpften Landeskapelle Eisenach mit dem Orchester im 40 Kilometer entfernten Gotha können alle Standorte beruhigt in die Zukunft schauen. Und zwar mit Zuwendungsverträgen, die über fünf Jahre Planungssicherheit versprechen, teilweise sogar bis 2024. Das Land fährt seinen Finanzierungsanteil an den Bühnen und Orchestern von derzeit 66,6 Millionen Euro bis 2012 auf fast 77 Millionen Euro hoch. Und stellt zusätzlich für Investitionen in die Infrastruktur der Bühnen wie auch für künstlerische Projekte bis 2025 weitere 21,93 Millionen Euro zur Verfügung.

Was Hoff im Gegenzug von den Theater verlangt, ist lediglich eine verstärkte Kooperationsbereitschaft. Sich solidarisch zeigen, sich gegenseitig aushelfen, lautet die Maxime des Linken. Der sich auch Weimar und Erfurt anschließen sollen, die bisher lieber auf grotesk-stammtischhafte Weise ihre Erbfeindschaft kultivierten. Das Ballett aus Gera soll präsenter in der Landeshauptstadt sein, die Philharmoniker aus Jena für groß besetzte Opern mit Altenburg-Gera zusammenarbeiten.

Zwei Wunschträume wurden Hoff nicht erfüllt

Nur seine beiden Wunschträume konnte der Minister noch nicht realisieren. Die Auflösung der Haus-Tarifverträge, die den Theatermitarbeitern aktuell bis zu 30 Prozent Lohnverzicht abfordern, gelang nicht – weil sich die oft in Haushaltsnotlage wirtschaftenden Kommunen eine Rückkehr zum Flächentarifvertrag derzeit nicht leisten können. Und auch Hoffs zweites Ziel lässt sich vorerst nicht durchsetzen: Dass sich nämlich alle Landkreise, die an eine Stadt mit Theater angrenzen und folglich vom dortigen Kulturangebot profitieren, auch an dessen Finanzierung beteiligen.

„Das Theaterwesen ist ein Geschäft, das vorzüglich mit Großheit behandelt sein will; eben weil es fast aus lauter Kleinheiten besteht“, hat ein Mann gesagt, der Italien wie Thüringen gleichermaßen zugetan war, Johann Wolfgang von Goethe nämlich: „Jene Kleinlichkeiten, Verschränkungen und Verfilzungen zu beseitigen und durchzuhauen, ist freilich ein unangenehmes Geschäft. Es ist aber nicht undankbar, weil zuletzt das Gute und Rechte wie von selbst entspringt.“

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