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Stehauffrau. Die Sängerin Tina Turner, hier 2018 bei einem Fototermin zum Musical „Tina - Das Tina Turner Musical“

© Christian Charisius/ dpa

Tina Turner zum 80.: Selbstermächtigung gegen alle Widerstände

„Ich machte weiter, setzte meinen Weg fort“, lautet ihr Credo. Tina Turner gelang ein unvergleichlicher Aufstieg zum Superstar. Jetzt wird sie 80.

In ihren dunkelsten Stunden, als sie schwer nierenkrank in einer Schweizer Klinik an ein Dialysegerät angeschlossen war, hat Tina Turner immer wieder in ihrem Lieblingsbuch gelesen: der „Göttlichen Komödie“ von Dante. Darin schildert der Dichter den steinigen Weg, den die Toten zurücklegen müssen, um ins Paradies zu gelangen.

„Ob ich jemals die von Dante beschriebene Erleuchtung erleben werde, ist ungewiss“, schreibt die Sängerin in ihrer Autobiografie „My Love Story. „Mag der Weg dorthin noch so schwierig sein, ich bin entschlossen, es stets aufs Neue zu versuchen.“ Aus der lebensbedrohlichen Erkrankung wurde sie schließlich von ihrem Ehemann, dem deutschen Musikmanager Erwin Bach, befreit, indem er ihr eine Niere spendete. Die bekennende Buddhistin sieht in einem Passionsweg durch die Krankenhäuser eine Prüfung.

Ihr Leben, bekennt Turner, trage durchaus „dantesche“ Züge. Besonders die erste Hälfte glich einem Höllenritt. Am 26. November 1939 in Nutbush, einem 300-Seelen-Nest in Tennessee, unter dem bürgerlichen Namen Anna Mae Bullock geboren, wurde sie bald zur Großmutter abgeschoben. Sie fühlte sich als ungewolltes Kind und wurde von ihrer Mutter oft geschlagen.

Die Musik war schon früh ihre Gegenwelt. „Ich singe, seit ich denken kann.“ Bereits mit vier oder fünf Jahren wurde sie beim Einkaufen von den Verkäuferinnen auf einen Schemel gehoben, um einen Song zu trällern, den sie im Radio gehört hatte. Wie sie der Enge ihrer Herkunft entkam, hat sie später im selbst komponierten Hit „Nutbush City Limits“ beschrieben. Da war sie vor den Schlägen ihrer Mutter bereits in die noch deutlich gewalttätigere Beziehung mit dem acht Jahre älteren Gitarristen Ike Turner geflohen.

Die Anfänge des Erfolgs

Der Mann, der mit „Rocket 88“ einen der allerersten Rock’n’Roll-Titel geschrieben hatte, war ein Soulgenie, aber auch ein Psychopath und Drogenjunkie. Er entdeckte ihre Gesangsqualitäten in einem Club in St. Louis, verpasste ihr den Vornamen Tina und sicherte sich auch gleich die Rechte an der Marke Tina Turner.

Die Hochzeitsnacht nach der Blitzheirat in Tijuana verbrachten sie in einem Bordell. „Ich fühlte mich die ganze Zeit so elend, dass ich am liebsten geweint hätte“, erinnert sie sich. „Aber es gab kein Entrinnen.“ Ike schlug sie aus nichtigen Anlässen heraus blutig. Doch Tina fand nicht die Kraft, ihn zu verlassen, nicht nur wegen des gemeinsamen Sohnes, sondern auch weil sie ökonomisch von ihm abhängig war.

Aber aus der Mesalliance erwuchsen einige der besten Soulsongs aller Zeiten, wie ihr Hit „A Fool In Love“, die CCR-Coverversion „Proud Mary“ oder die Vierminutensinfonie „River Deep – Mountain High“, der kommerzielle Höhepunkt.

Für dessen Aufnahme versammelte der megalomanische Produzent Phil Spector 1966 nicht weniger als 75 Musiker und 25 Sänger im Studio, um hinter Tinas Leadgesang seinen berühmten „Wall of Sound“ zu errichten. Die anschließende Tour der Ike & Tina Turner Revue durch Großbritannien als Vorgruppe der Rolling Stones wurde zum Triumph.

Vom Aschenputtel der Popmusik zum Superstar

„Ich machte weiter, setzte meinen Weg fort“, lautet das lakonische Credo der Stehauffrau, das sich auch wie ein Leitsatz durch ihre Memoiren zieht (die deutsche Ausgabe ist im Penguin Verlag erschienen). Nachdem sie sich 1976 endgültig von Ike befreit hatte, begann für sie ein neues Leben, das „vom ersten Moment an großartig“ war.

In finanzieller Hinsicht lässt sich das allerdings nicht behaupten, denn die Sängerin musste für ausgefallenen Konzerte Entschädigung in sechsstelliger Dollarhöhe bezahlen. Vorerst trat sie mit ihren alten Nummern in Casinos und Varietés auf, doch ihr Selbstbewusstsein litt nicht darunter.

Das Prinzip Selbstermächtigung hat sie schon gelebt, als noch niemand den Begriff kannte. Als Tina Turner 1979 ihrem neuen Manager Roger Davies begegnete, sagte sie ihm, dass sie so großen Hallen wie die Rolling Stones und Rod Stewart füllen wolle. Gastauftritte bei Tom Jones, Rod Stewart und David Bowie verschafften ihr einen Plattenvertrag bei Capitol Records.

Mit ihren 44 Jahren galt sie zwar als „Künstlerin mittleren Alters“, doch von ihrem epochalen, 1984 erschienenen Synthiepopalbum „Private Dancer“ verkauften sich allein im ersten Jahr acht Millionen Stück. Vom Aschenputtel der Popmusik zum Superstar, dieses Märchen wurde für die Frau wahr, die nach Marlene Dietrich die berühmtesten Beine der Musikgeschichte besitzt. 1988 sang sie im Maracanã-Stadion in Rio de Janeiro vor 188 000 Zuschauern, ein bis heute unerreichter Rekord.

Nachdem sich Tina Turner nach einer ausverkauften Abschiedstournee ins Privatleben zurückgezogen hat, zeigt sie sich nur noch selten in der Öffentlichkeit, etwa Anfang 2018 bei der Premiere des „Tina Turner“-Musicals in London. Als Folge einer Darmkrebserkrankung und der Dialysebehandlung kann sie kaum noch schreiben, nicht mal Autogramme.

Glücklich ist sie trotzdem. „Die meisten Leute denken, ich würde ständig in Bewegung sein“, schreibt sie. „Doch das stimmt nicht. Ich habe begriffen, dass ich die bedeutungsvollsten Augenblicke erlebe, wenn Ruhe einkehrt, wenn ich dasitze, meditiere und meine Gedanken schweifen lasse.“ Heute feiert Turner ihren 80. Geburtstag. Die Kontemplation sei ihr gegönnt.

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