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Frostige Assoziationen: Tobias Zielonys Videos.

© Tobias Zielony, The Street, 2013

Tobias Zielony in der Galerie KOW: Am Tricktisch

Big Sexyland: Die Videos von Tobias Zielony in der Galerie KOW zeigen den ehemaligen Fotografen als versierten Bildkomponisten, der die Wirklichkeit abbilden will.

Es ist kalt im Keller der Galerie KOW, auch Tobias Zielony trägt beim Rundgang durch seine Ausstellung einen dicken Pulli. Von den Kellerwänden strahlt soziale Wärme ab, seltsamerweise, weil es nicht zu den Orten passt, an denen die Videos aufgenommen wurden: ein Pornokino, ein Straßenstrich, eine Prostituierten-WG, ein Knast in Kanada, eine Mafia-Siedlung in Neapel. Die Assoziationen sind eher frostig.

Kann sich irgendwer die Palästinensergebiete als gemütlichen Ort vorstellen? Zielony hat dort Anfang 2014 seinen ersten Film inszeniert. „Kalandia Kustom Kar Kommando“ entstand in nur sechs Stunden, „den vielleicht anstrengendsten meines Lebens“, wie Zielony sagt. Der Clip ist das dennoch erstaunlich polierte Remake eines Experimentalfilms von Kenneth Anger. Nur dass statt zwei US-Boys nun zwei schmucke Palästinenser homoerotisch aufgeladene Autopflege betreiben. Ein feuchtglänzender VW-Käfer, rotstichige Verklärung, gleitende Kamerafahrten, zärtliches Motorenstreicheln. Dazu haucht eine Frauenstimme den Song, der den Ausstellungstitel „Dream Lovers“ vorgab. Entdeckt Zielony den Camp-Geschmack – also die von Susan Sontag umschriebene Neigung zur totalen Künstlichkeit? Immerhin blendet das Video die trüben Umstände komplett aus, gegen die die Protagonisten seiner Fotoserien sonst ihre markigen oder coolen Selbstbehauptungsgesten setzen. Die Zeichen sind rar gesät: Der Titelzusatz „Kalandia“ lokalisiert den Drehort in der West Bank, das Nummernschild ist palästinensisch, der Schaltknauf ein Totenkopf.

Tobias Zielony ist das Gegenteil eines Salonkünstlers

In Ramallah entstand der fünfminütige Film „Al-Akrab“. Zu sehen sind palästinensische Schülerinnen, die bei einem Animationsworkshop tote Skorpione auf einem Tricktisch zum Leben erwecken. Das ist das Stichwort: Filme sind eigentlich nichts anderes als Fotoserien, die Bewegung vortäuschen. Dass der als Fotograf (und Dokumentarist sonst schwer zugänglicher Subkulturen) gerühmte Zielony inzwischen auch Videos produziert, beruht auch auf einer technisch-medialen Verbindung. Bei KOW beschränkt sich Zielony erstmals ganz auf Filmarbeiten.

Die zwei ältesten Werke von 2008 werden auf kleinen Monitoren präsentiert, die anderen sechs Videos auf die Kellerwände projiziert (Preise: 8500– 10 000 €). Wann über dem Sofa hängende Bildschirme oder Dauerprojektionen im Sammlerwohnzimmer so salonfähig werden wie schön gerahmte Fotoabzüge, bleibt natürlich ungewiss. Aber um solche Fragen schert sich Zielony eigentlich nicht. Er ist das Gegenteil eines Salonkünstlers, ständig unterwegs auf zuvor fremdem Terrain. 1999, damals studierte er noch Dokumentarfotografie in Newport, lichtete er Jugendliche nachts in Parkhäusern der walisischen Stadt ab. 2008 entstand eine aufsehenerregende Reportage mit den Kids aus Trona, einem kalifornischen Wüstenkaff, in dem die Horrordroge Crystal Meth gekocht wird. Die „Trona“-Serie wurde 2013 zusammen mit Zielonys „Jenny Jenny“-Fotos in der Berlinischen Galerie ausgestellt. Als filmischen Spin-off der Reihe um jugendliche Prostituierte in der Kurfürstenstraße zeigt KOW die Videos „Danny“ und „Der Brief“.

"Big Sexyland" ist das Videoportät eines Junkies

2015 dürfte ein glanzvolles Jahr für Zielony werden, denn kürzlich gab Florian Ebner, Kurator des Deutschen Pavillons der kommenden Venedig-Biennale, seine Auswahl von fünf Künstlern für die Giardini bekannt. Zielonys Teilnahme überrascht nicht, wenn man in Ebners Statement liest, er wolle über die „materielle und politische Natur der Bilder im digitalen Zeitalter und einer globalisierten Welt“ nachdenken. Weshalb es Zielony seit Jahren zum Film drängt, spürt man in fast allen Arbeiten bei KOW. „Big Sexyland“ (2008), das in einem Pornokino aufgenommene Videoporträt eines Junkies, der immer wieder in den Schlaf abgleitet, braucht das Bewegtbild ebenso wie „Le Vele di Scampia“ (2009). Zielony, der über die von der Camorra kontrollierte Siedlung Vele in Neapel auch ein Fotobuch herausgab. Während seiner Gänge um und durch die verschachtelte, modernistische Halbruine hielt er den Auslöser seiner Digitalkamera gedrückt. „Mehr als sechs Bilder pro Sekunde geht nicht“, erklärt Zielony, der aus der Not, keine Videokamera dabeizuhaben, eine Tugend machte: Die ruckelnden, mit nervöser Spannung aufgeladenen Filmbilder lassen die brenzlige Atmosphäre des Ortes jederzeit spürbar werden.

Weil kein Soundtrack vorhanden ist, wirkt der „Fotoanimationsfilm“ (Zielony) wie ein Stummfilm – wie aus einer Zeit, als das Kino noch spröde und voller Brüche war. „Continuity“ lautet Hollywoods Zauberwort für die fugenlos-illusionäre Verschmelzung von Bild, Ton und Effekten. „Ich misstraue diesem Bilderfluss“, hält Zielony dagegen, „weil man die Wirklichkeit so nicht abbilden kann.“

Galerie KOW, Brunnenstr. 9; bis 14.2., Mi–So 12–18 Uhr

Jens Hinrichsen

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