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Kultur: Tochter Teresa

Wettbewerb (1): Kim Ki-Duks bestechend schöne Tragödie „Samaria“

Auf diese Situation hat sie der Vater nicht vorbereitet: Es ist feucht, der Untergrund schlammig, die Reifen drehen durch. Der schwere Wagen sitzt fest. Da hatte die Tochter längst den Pfad der liebevoll gelb angemalten Steine verlassen, mit denen der Vater, ein Polizist, ihr bei der ersten Fahrstunde den Weg weisen wollte. „Jetzt kannst du allein weiterfahren“, hatte er ihr noch hinterhergerufen. Sie kann es nicht.

Dass die Töchter irgendwann den Weg verlassen, den die Väter ihnen vorzeichnen wollten, ist genauso vorgezeichnet – und trotzdem ein bitterer Lernprozess. Und es geht meist schneller, als man denkt. Da hat der Vater gerade noch liebevoll das Frühstück bereitet, mit Suppe und Spiegelei, und seine Tochter zärtlich geweckt, indem er ihr einen Kopfhörer mit Satie-Klängen aufsetzt. Doch das Kind, das da so friedlich mit Teddybär im Arm schläft, ist längst kein Kind mehr.

Dass sie es nicht mehr ist, daran sind andere schuld. Andere Väter. Solche, die Kinder im Internet suchen, und mit ihnen ins Hotelzimmer gehen. Und ihnen danach auch noch erzählen, dass sie so glücklich seien, sich so verjüngt fühlten. Einmal wird der Polizistenvater einen von ihnen bis nach Hause verfolgen, in die Wohnung eindringen, wo der brave Familienvater mit Mutter, Ehefrau und Tochter beim Abendessen sitzt, und ihm ins Gesicht schleudern: „Schämst du dich nicht, mit einem Kind zu schlafen, das jünger ist als deine Tochter?“ Aber er schämt sich ja, dieser Biedermann, senkt den Blick, weiß keine Antwort, steht stumm auf dem Balkon. In der nächsten Einstellung hört man einen Schlag, eine Armbanduhr schlägt auf dem Pflaster auf, dann rinnt ein dünner Faden Blut ins Bild.

In diesem Moment fühlt man etwas von der Wucht, mit der der koreanische Regisseur Kim Ki-Duk seine Filme komponiert: unerbittlich, monumental. Und oft extrem gewalttätig: In seinem Festivalerfolg „Die Insel“ aus dem Jahr 2000 zum Beispiel hat er eine Hassliebe auf einer Insel einsam im See porträtiert – samt ultra-blutiger Spontanoperation. Sein neuer Film „Samaria“ reicht da nicht ganz heran, zumal er nicht in grandioser Natur, sondern in den schmutzigen Absteigevierteln Seouls spielt. Zu selten lässt Kim Ki-Duk seine Bilder sprechen. Etwas zu sehr merkt man dem Film die Absicht an.

Denn „Samaria“ erzählt von einer doppelten Mission. Nach und nach beginnt der Vater, die Freier seiner Tochter zu verfolgen, sie zur Rede zu stellen, zu bedrohen, am Ende zusammenzuschlagen. Ein Mann sieht rot. Lee Uhl spielt das wunderbar hoffnungslos, mit verschlossenem Gesicht, versteinertem Blick. Dass es gerade ein Polizist ist, der als einzigen Ausweg die Selbstjustiz weiß: bittere Ironie. Dass der Regisseur durchaus Verständnis für diese Form der Selbsthilfe hat: unübersehbar. Doch auch Yeo-Jin (Kwak Ji-Min) hat eine Mission: Sie hat etwas wiedergutzumachen. Es gab einmal zwei Freundinnen, fröhliche Schulkinder, die gemeinsam von einer Europareise träumen. Sie brauchten Geld. Die Abmachung war: Die Freundin (Seo Min-Jung) schafft an, Yeo-Jin organisiert und passt auf. Doch leider nicht gut genug. Die Freundin stirbt. Nun sucht Yeo-Jin die Freier, einen nach dem anderen, schläft mit ihnen und gibt ihnen das Geld wieder. Das mag eine Rückerstattung sein, eine Wiedergutmachung nicht. Rückgängig machen lässt sich nichts.

Und Schuld ist vielleicht doch der Vater, der seiner Tochter zu viele christliche Heldengeschichten erzählt hat, auf der morgendlichen Fahrt zur Schule. Geschichten von wundertätigen Kreuzen, von Marienerscheinungen, aber auch düstere Höllenvisionen. Die letzte Geschichte war die von Mutter Teresa, der barmherzigen Samariterin. Sie zeigt, dass der Vater beginnt, die Tochter zu verstehen. Leider zu spät.

Heute 15 und 18.30 Uhr (Royal), 22.30 Uhr (International)

Christina Tilmann

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