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Kultur: Tod in der Dönerbude

Die Comedy-Stars von übermorgen kommen aus dem Wedding. Wie das Prime Time Theater Elend zu Komik macht

Wedding, Soldiner Kiez. In einem alten Bewag-Gebäude proben sieben Schauspieler für einen Auftritt. Ein Raum, so groß wie ein Wohnzimmer, ist ihre Bühne. An den zitronengelben Wänden hängen Poster türkischer Popstars – nicht die einzigen Verweise auf das Land, das fast die gesamte Bühneneinrichtung dominiert: im hinteren Teil des Zimmers ein Imbiss, am Spieß rotiert ein Plastikdöner; links daneben das Schlafzimmer eines türkischen Mädchens, das aus einem Kleiderschrank und einem abgenutzten Sessel besteht, darauf ein Kissen mit Mondsichel-Emblem. Am Rand steht ein kleines Podest mit Schreibtisch und Telefon, das ein Polizeibüro andeuten soll.

Seit Freitag findet hier – zur „besten Sendezeit“ – immer derselbe Mord statt. Das Prime Time Theater spielt „Polizeiruf 65 – Alle Spuren führen nach Wedding“, eine Krimisatire, die mit Klischees aus Polizeiserien spielt und gleichzeitig den berüchtigten Soldiner Kiez mit seinem Image als kriminelle Hochburg Berlins persifliert. Die Handlung: Das türkische Mädchen Aysche Alagdimir ist unauffindbar. Nur ein Blutfleck und ein zerbrochenes Glas in ihrer Wohnung zeugen davon, dass sie nicht ganz freiwillig verschwunden ist. Kommissar Kowalski glaubt, dass Aysche ermordet wurde. Aber das Ding ist zu groß für ihn. Deshalb schaltet sich zu seinem Unmut eine international operierende „Profilerin“ in die Ermittlungen ein. Ihr Tatverdächtiger: Murat Ölgür, der Freund von Aysche und Neffe des Dönerbuden-Besitzers Achmed.

Constanze Behrends, sie spielt die Profilerin, hat das Stück in zwei Tagen geschrieben. Sie ist eine blonde Frau mit strahlenden Augen und hat sich von einem Dönerstand in der Nachbarschaft inspirieren lassen. Auch sonst geschieht in diesem Kiez so einiges, auf das sie nur zurückzugreifen braucht. Das hat sie schon bei der Soap „Gutes Wedding, schlechtes Wedding“ getan, die einmal pro Woche im Prime Time Theater zu sehen ist. Ein Kultstück der Gegend. Auch, weil es die Vorurteile über Wedding ins Groteske steigert.

Seit zwei Jahren wohnt Constanze Behrends hier und kann den ganzen Aufruhr nicht verstehen. „Natürlich gibt es im Wedding eine höhere Kriminalitätsrate als in Charlottenburg“, sagt die Schauspielerin. „Das ist auch kein Wunder bei einer Arbeitslosenrate von über 20 Prozent. Mir gefällt aber an dem Stadtteil, dass die Menschen hier viel ehrlicher und authentischer sind.“

Auf seine Art ist auch Murat-Darsteller Oliver Tautorat authentisch. Er fällt im Weddinger Straßenbild nicht sonderlich auf. Rabenschwarze Haare, feurig- dunkle Augen und breite Schultern sind hier nichts Ungewöhnliches. Tautorat ist Grieche und wirkt, wenn er Murat spielt, wie ein Bruder von „Erkan und Stefan“. „Ich glaube, wir sind nur so komisch“, erklärt er, „weil wir Situationen und Personen aus unserem Alltag zeigen und dann zuspitzen. Das Wichtigste ist, dass wir die Charaktere spielen wie sie sind. Je ernster wir sie nehmen, desto komischer wird es.“ Auch Murat spielt nach, was er bei seinem Dönerverkäufer Harkan so aufschnappt – der Sprachjargon, die Bewegungen und Gesten, alles das hat er sich Harkan und anderen Weddinger Türken abgeschaut. Auch deren Probleme und Ansichten hat er sich zu eigen gemacht und wirkt so wie eine Kiez-Version des Method Actors.

In „Polizeiruf 65“ zeichnet das Prime Time Theater Menschen, wie sie uns täglich begegnen: in großen Seifenopern, wo sie mit weit aufgerissenen Augen und schreiend ständiges Entsetzen erleben; knallharte Polizisten erweisen sich als hörige Mamasöhnchen; hochnäsige Super-Ermittlerinnen halten sich für gerissen, aber verfolgen nur falsche Spuren. Dass man das alles kennt, verheimlicht das Prime Time Theater gar nicht erst. Vielmehr versuchen die Schauspieler (in acht Rollen, wenn man das Zeitungsmädchen mitrechnet) diese Logik des Besserwissens zu überbieten.

Constanze Behrends und Oliver Tautorat haben sich vor zwei Jahren auf einem Filmdreh für einen Anti-Drogen-Spot kennen gelernt. Im Dezember letzten Jahres gründeten sie ihr Theater, mit dem sie im Sommer auch bei der Road-Schau der Volksbühne gastierten. Nicht nur im Namen ist die Affinität zu Fernsehstoffen festgeschrieben. „Wir haben zwar auch schon mal eine sehr freie Adaption von Büchners Woyzeck gespielt“, so Behrends, „aber letztlich sind wir mit Seifenopern und Krimis näher an unserem Weddinger Publikum, das sonst eher nicht ins Theater geht.“

Ganz nah dran ist das Publikum im Prime Time Theater tatsächlich. Kein Zuschauer ist mehr als sechs Meter von den Schauspielern entfernt. Für große Gesten ist kein Platz. Die Bühne hat keine Rampe, und auch sonst lösen sich die Grenzen auf: Trotz fester Dialoge improvisieren die Darsteller immer wieder, nicht nur bei den Proben, sondern auch bei den Aufführungen. Dabei kann einiges durcheinander geraten: Einmal wird der Kommissar des Mordes überführt, im nächsten Moment soll ihn sein Mitarbeiter begangen haben, dann gilt Murat wieder als Täter. Als man glaubt, dass nun endlich alles geklärt ist, ist doch wieder fast alles anders. Behrends: „Damit steht fest, es wird eine Fortsetzung geben.“

Prime Time Theater (Osloer Str. 16, Wedding), heute und morgen, sowie am 26./27. September, 1.-4. und 10./11. Oktober, jeweils 20.15 Uhr. Tel. 49 90 79 58.

Ramon-Ali Mirfendereski

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