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Todd Rundgren 2017 in Kalifornien.

© Rich Fury/AFP

Todd Rundgren zum 70.: Avantgardist des Pop

Ein Zauberer und Star wird 70: Todd Rundgrens Stücke waren nie Hitparadenmaterial. Trotzdem lässt sich seine musikalische Bedeutung kaum überschätzen.

Der Liebe kann man nicht entkommen. Ihr zu begegnen, heißt erleuchtet zu werden. „My feelings for you / were just something I never knew / ’Til I saw the light in your eyes“, so beschreibt Todd Rundgren diesen Moment. Sein Gesang klingt euphorisch, der swingende Rhythmus der Hängetoms imitiert den beschleunigten Herzschlag eines Menschen im hormonellen Ausnahmezustand. „I Saw the Light“, 1972 veröffentlicht, gehört zu den schönsten Liebessongs der Popgeschichte. In England wird es bei Hochzeiten gespielt. Auch Liedern kann man manchmal nicht entkommen. Als Rundgren ein paar Jahre später in seinem Haus überfallen und gefesselt wurde, pfiffen die Einbrecher die Melodie von „I Saw the Light“, während sie das Kokain suchten, das er nicht besaß. Der Sänger verachtet die Droge, weil sie „für die größte Investition die geringste Gegenleistung“ liefere.

Todd Rundgren, der heute vor siebzig Jahren als Nachfahre schwedischer und österreichischer Einwanderer in Philadelphia geboren wurde, ist ein Avantgardist mit der Gabe, makellose Popsongs zu schreiben. Er begann seine Karriere in der psychedelischen Beatband Nazz, gründete das Prog- und Hardrockensemble Utopia und experimentierte auf seinen Soloplatten bereits mit retrofuturistischen Synthesizern, als sie noch nicht retro, sondern bloß futuristisch waren. Sein Doppelalbum „Something/Everything?“, das er 1973 in einer dreiwöchigen Rund-um-die-Uhr-Session aufnahm, bei der er alle Instrumente spielte und alle Gesangsparts übernahm, war die Blaupause für den Emeriten-Pop, der später in Schlaf- und Wohnzimmer entstand. Vor den Tonbändern durchgehalten hat er damals nur, weil er kurz zuvor das Medikament Ritalin entdeckt hatte. „Ich konnte stundenlang arbeiten und habe nicht mal gemerkt, wie die Zeit verging.“

Rundgren ist „A Wizard, A True Star“, wie er eines seiner besten Alben genannt hat. Ein Zauberer und Star. Dass er anfangs für die Eingängigkeit seiner Melodien gelobt wurde, hat ihm nicht gepasst. „Aus einer Abwehrhaltung heraus begann ich alles zu vermeiden, was konventionell ist und hörte auf, Lieder nach der formelhaften Abfolge von Strophe, Refrain, Bridge aufzubauen.“ Weil Rundgren mit den Geschlechterrollen spielte, sich bei Konzerten in Weltall-Kostümen und mit Schmetterlings-Wimpern zeigte, galt er als „amerikanischer David Bowie“. Ein Missverständnis.

Ein Mann für alle Arten von Musik

„Bei meinem Äußeren war ich nie sehr zielgerichtet“, bekannte er in einem Interview mit dem „Guardian“. „Ich hatte einen Mann für Make-up und Kostüm, er hängte mir die Klamotten hin, die ich dann anzog.“ Rundgrens musikalische Bedeutung lässt sich kaum überschätzen, in den letzten Jahren ist sein ausuferndes und hybridartiges Werk von Bands wie TV On The Radio, Daft Punk oder Tame Impala wiederentdeckt worden. Prince war zeitlebens ein großer Toddhead.

Hitparadenmaterial waren Rundgrens Stücke nie, auch wenn es seine Mitsinghymne „Hello It’s Me“ auf Platz 5 der Billboard-Charts brachte und die Mitklatschpolka „Bang the Drum All Day“ in amerikanischen Sportarenen läuft. Kommerziell erfolgreicher war der Sänger als Produzent von Patti Smith, XTC oder den New York Dolls. Mit den Tantiemen für seine Arbeit an „Bat Out of Hell“ von Meat Loaf, das zu den fünf meistverkauften Platten der Welt zählt, kaufte er ein Anwesen auf Hawaii, wo er heute lebt. Die amerikanische Wikipedia listet Rundgren unter den Genres „Pop, Rock, Progressive, Electronic, R&B, Psychedelia.“ Er ist ein Mann für alle Arten von Musik. Bis auf Hip-Hop.

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