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Kultur: Tödlicher als Gift

Der Beginn ist opernhaft: Sehnsuchtsvolle, schmelzende Celloklänge, und dann öffnet sich an der Bühnenrückwand ein Spalt, verbreitert sich, bis ein gleißendes Kreuz zu sehen ist, das die nüchterne Sperrholzbühne (Bühnenbild, wie immer: Olaf Altmann) zur Kathedrale, zur Gruft werden lässt. Ein starkes Bild - viel zu groß für die kleinen Menschen, die sich in ihm bewegen.

Der Beginn ist opernhaft: Sehnsuchtsvolle, schmelzende Celloklänge, und dann öffnet sich an der Bühnenrückwand ein Spalt, verbreitert sich, bis ein gleißendes Kreuz zu sehen ist, das die nüchterne Sperrholzbühne (Bühnenbild, wie immer: Olaf Altmann) zur Kathedrale, zur Gruft werden lässt. Ein starkes Bild - viel zu groß für die kleinen Menschen, die sich in ihm bewegen. Denn Michael Thalheimer erzählt Schillers "Kabale und Liebe" nicht als Hohelied auf die Liebe, sondern als Geschichte des Scheiterns. Diese "Kabale und Liebe", wie immer auf essenzielle 90 Minuten zusammengekürzt, liegt wie ein kalter, harter Stein im Magen. Statt Tragik ist da nur Verzweiflung, statt Pathos nur Erbärmlichkeit.

Schon in den ersten fünf Minuten ist alles enthalten. Da tollen Luise und Ferdinand über die Bühne, ein Kinderpaar. Die Liebe traut man ihnen kaum zu, kaum, dass sie wissen, was ihnen geschieht. Da werden Hände geknetet, Gesichter grimassieren, man reißt sich auseinander und fällt doch magnetengleich immer wieder zusammen. Auf Fritzi Haberlandts verschlossenen Lippen liegt ein unfreiwilliges, halb hysterisches Grinsen, das von innen durchzubrechen scheint. So muss es wohl sein, das erste Glück. Überwältigend, aber irgendwie auch beängstigend.

Ach ja, die Körper. Alle fühlen sich unwohl in ihrer Haut, wie in einem Gefängnis. Da wird gezittert und gebebt, gewürgt und gekrümmt, grimassiert und gestottert zum Steineerweichen. Wo die übergroßen Emotionen einen Knoten in die Zunge machen, brechen sie sich im Körper ungehindert Bahn, fast wie eine Epilepsie, eine Krankheit. Keiner hat sich im Griff, und Luises tapfere Forderung "Fassung verlangt diese Stunde" verhallt ungehört.

Überhaupt ist Fritzi Haberlandt, Star und Entdeckung der ersten Thalheimer-Genietat "Liliom", die einzige, die die Fassung behält auf der Bühne: Ihre Luise ist keine Unschuld, keine süße Liebe, sondern ein störrisches Kind. Die breite Stirn, ihr vorgeschobenes Kinn, die hochgezogenen Schultern sind purer Trotz. Dieses Kind lässt keinen an sich heran, und nichts gelingt ihr besser, als Ferdinand schließlich mit verstocktem Schweigen in die Wüste zu schicken. Wie ein Stein steht sie im Zentrum des Geschehens, unnahbar und unangreifbar.

Verglichen mit ihr sind die Männer erbärmliche Schwächlinge. Die Väter, Miller wie Walter, sowieso: harte, autoritäre Gewaltmenschen, deren kalte Wut sich in angestrengtem Grimassieren Bahn bricht. Peter Kurth, als "Liliom" trotz aller Gewalttätigkeit auch zu einer herzabschnürend hilflosen Liebe fähig, ist als Präsident von Walter nur noch Machtmensch. Aber auch Norman Hacker als Miller steht ihm kaum nach. Ihm, der bei Schiller als Luises wohlmeinender, bürgerstolzer Vater mit seiner unverblümten Sprache die Sympathiefigur ist, ist zum kalten, glatten Anzugträger geworden. Und Ferdinand, nun ja: Felix Knopp gibt ihn als hoffnungslosen Schwächling, dem vor dem Vater die Knie zittern. Ihm traut man nicht in einer Sekunde zu, sich einmal entschieden auf Luises Seite zu stellen, zu kämpfen, zu widerstehen. Was Schiller nur andeutete, führt Thalheimer zynisch zu Ende: Dass von diesem Söhnchen keine Hilfe zu erwarten ist.

Die kommt dafür - überraschenderweise - vom schmierigen Ränkeschmied Wurm. In einer genialen Umdeutung macht Thalheimer, ähnlich schon wie bei Marinelli in Emilia Galotti, den Schurken zum Held. Hans Löw, gutaussehender Lockenkopf in braunem Kord, nähert sich Luise in der ersten Szene schüchtern, wie ein künftiger Schwiegersohn. Kaum wagt er sie nur anzurühren. Oft steht er nur im Hintergrund, beobachtend, berechnend und gleichzeitig vor Sehnsucht sich verzehrend. Dass seine Intrige, die Unheil über die ganze Familie bringt, aus Liebe geschieht - man glaubt es sofort. Und wenn er in der Schlüsselszene, in der Luise den tödlichen Brief schreibt, fast zusammenbricht aus würgendem Selbstekel, geht das unmittelbar zu Herzen. Wurm als tragische Figur - so hat man die Kabale noch nie gesehen.

Auch Susanne Wolff als Lady Milford hätte man, ähnlich der Orsina in "Emilia", mehr als diese eine, starke Szene gewünscht, in der alle vorgeschobene Selbstsicherheit wegbricht im stammelnden Geständnis einer Liebe. Michael Thalheimer macht bestes Schauspielertheater, ganz altmodisch und radikal modern. Gewiss, so manches kennt man schon, nicht nur, weil "Emilia Galotti" und "Kabale und Liebe" so ähnliche Themen verhandeln. Dass die Schauspieler in grader Linie an die Rampe marschieren wie auf einem Laufsteg und dass im entscheidenden Moment die Sprache, jede Sprache versagt und in hilfloses Gestammel, aufgeregtes Gestikulieren und unartikuliertes Brüllen übergeht - das ist geradezu Thalheimers Spezialität.

In einer gnadenlos unterkühlten, auf minimale Effekte zurückgefahrenen Bühnenwelt kommt jeder noch so kleinen Regung höchste emotionale Wirkung zu. Wieviel Liebe steckt da in einem kleinen Finger, und auch ein Händedruck kann schon Verrat sein. Da braucht es weder Mord noch Degen. Wenn Luise am Ende allein auf der Bühne stehen bleibt, ist das tödlicher als jedes Gift. Nichts ist schrecklicher als Einsamkeit.

So launisch ist das Theaterglück. Michael Thalheimer, beim vergangenen Berliner Theatertreffen mit dem Hamburger "Liliom" und dem Dresdner "Fest" in den Himmel gehoben, wurde in diesem Jahr mit seiner schon zum Kult gewordenen"Emilia Galotti" vom Deutschen Theater Berlin schnöde übergangen. Wie schön, dass seine "Kabale", die am Eröffnungsabend des Theatertreffens Premiere hatte, sich mit solcher Leichtigkeit mit allem messen lassen kann, was in den nächsten zwei Wochen in Berlin zu sehen sein wird.

Christina Tilmann

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