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Kultur: Ton und Tabu

Auch der Andersdenkende hat ein Recht: von Karikaturen, Fundamentalisten und Boulevardgrößen

Vor einigen Tagen habe ich versagt. Eine Mail ist gekommen, von der Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Der „Jungen Freiheit“ war es verboten worden, bei der Leipziger Buchmesse ihren Stand aufzubauen. Sie hatten dort seit Jahren einen Stand. Jetzt hieß es: Proteste linker Gruppen seien zu erwarten. Das Verbot erfolge aus Gründen der Sicherheit.

Die „Junge Freiheit“ wollte, dass ich eine Solidaritätserklärung unterzeichne. Die Zeitung ist rechtskonservativ. Um eine Nazizeitung handelt es sich nicht, dazu gibt es immerhin ein Gerichtsurteil. Ob bei uns jemand öffentlich auftreten darf oder nicht, sollten Richter entscheiden, nicht die Direktion einer Buchmesse.

Im Grunde war es ein ähnlicher, wenn auch weniger dramatischer Fall wie damals bei dem Schriftsteller Salman Rushdie. Rushdie und alle, die sich mit ihm einließen, wurden von Islamisten bedroht. Einige Verlage hatten Angst davor, weiterhin seine Bücher herauszubringen. Jemand wird bedroht, als Reaktion darauf wird sein Recht auf Öffentlichkeit eingeschränkt. Und natürlich geht es bei der Meinungsfreiheit nicht darum, ob ich oder Sie, der Sie dies lesen, eine bestimmte Meinung teilen oder sympathisch oder auch nur nachvollziehbar finden. Thomas Paine, ein Gründervater der USA, hat den Satz geschrieben: „Wer seine eigene Freiheit sichern will, muss selbst seinen Feind vor Unterdrückung schützen.“ Diesen Satz findet fast jeder gut. Wenn es aber mit der Unterdrückung des Feindes konkret wird, beginnen meistens die Schwierigkeiten.

Ich habe die Resolution nicht unterzeichnet. Viele Bekannte rieten ab. Ich würde in ein schiefes Licht geraten. Unterschrieben hatten am Ende fast nur Konservative, Leute wie Joachim Fest oder Wolf Jobst Siedler. Die Liberalen hatten versagt, bei einem Thema, das ihnen am Herzen liegen müsste, der Meinungsfreiheit. Das politische Lagerdenken war ihnen wichtiger als die Freiheit. In Deutschland fragt man sich in so einer Situation natürlich, wie mutig man wohl 1933 gewesen wäre, wenn man schon unter den komfortablen Bedingungen der Demokratie feige ist. Das Verbot des Standes wurde von der Messe übrigens zurückgezogen, als Reaktion .

Gibt es Grenzen der Meinungsfreiheit? Selbstverständlich. Kein Recht gilt absolut, nicht einmal das Recht auf Leben (der Staat darf Soldaten in den Krieg schicken). Jedes Recht stößt mit seinen Grenzen an andere Rechte, ständig muss abgewogen werden, in den großen wie in den banalen Fragen – Fußgänger gegen Autofahrer, Elternrechte gegen Kinderrechte, das Individuum gegen den Staat, Freiheit der Religion gegen Freiheit der Meinung.

Wo liegt die Grenze? Eine einfache, klare Antwort, auf die man sich leicht einigen kann, lautet so: Die Grenze liegt dort, wo zur Gewalt aufgerufen oder Gewalt angepriesen wird. Die Meinung bedient sich des Wortes, Sprache ist ihr Werkzeug. Wer zur Gewalt aufruft, wirft dieses Werkzeug weg und greift nach etwas anderem. Leider ist es mit dieser einfachen Antwort nicht getan. Auch Sprache kann Wunden schlagen, Beleidigungen sind, ab einem gewissen Grad, verboten. Seit die Welt eng zusammengerückt ist, stoßen auch verschiedene Beleidigungs- und Bildkulturen aneinander. Wessen Recht gilt? Wessen Gefühle müssen respektiert werden?

In seiner eigenen Wohnung darf jeder seinen Lebensstil selber bestimmen, und wer zu Besuch kommt, hat sich an die Regeln zu halten, die in der jeweiligen Wohnung gelten. Wer rauchen möchte, muss in einer Nichtraucherwohnung auf den Balkon gehen, oder er sollte von einem Besuch absehen. Nur so kann auch in den großen Fragen des Zusammenlebens eine praktikable Lösung aussehen. Wer in den islamischen Ländern über Religion spottet, verhält sich, auch nach unserem eigenen Kulturverständnis, unhöflich und muss damit rechnen, dass er Probleme bekommt. Bei uns zu Hause, oder in Dänemark, halten wir es aber anders. Und niemand kann unsereinem die Hoffnung verbieten, dass sich auch in der islamischen Welt allmählich ein anderes Verständnis von Meinungsfreiheit durchsetzt. Weil ein freies Leben in vieler Hinsicht angenehmer ist als ein unfreies, darf der Westen zuversichtlich sein – auf lange Sicht besitzt sein Konzept der Freiheit die größere Sogkraft und bringt das stärkere Wirtschaftssystem zustande.

Auch in Deutschland und Österreich haben wir eine eigene Kultur der Meinungsfreiheit, die sich von anderen Ländern des Westens unterscheidet. Der britische Historiker David Irving ist in Österreich wegen Leugnung des Holocaust zu drei Jahren Gefängnis verurteilt worden, in England oder den USA wäre ihm das nicht passiert. Es ist aber tatsächlich ein Unterschied, ob der Holocaust in Deutschland geleugnet wird oder in England. Historische Verantwortung bedeutet unter anderem: Bei uns müssen es sich die Überlebenden der Todeslager nicht bieten lassen, als Lügner an den Pranger gestellt zu werden. In ein paar Jahren, wenn es keine Überlebenden mehr gibt, denkt man vielleicht anders. Denn im Prinzip müssen pseudowissenschaftliche Verrücktheiten selbstverständlich erlaubt sein. Manche Historiker bestreiten sogar die Existenz eines ganzen Jahrhunderts der Weltgeschichte.

Ein Schauspieler wie Heiner Lauterbach protzt in seinen Memoiren mit seinem Drogenkonsum, mit seinem Rassismus kann hierzulande niemand so offen angeben. Antisemitismus und Rassismus bilden in der deutschen Meinungskultur eine Sonderzone. Beides ist, zumindest in den tonangebenden Kreisen, gesellschaftlich geächtet, wie anderswo Abbildungen des Propheten Mohammed. In den Meinungstabus bildet sich das schlechte Gewissen unserer Gesellschaft ab. Rechtskonservative klagen gerne darüber, dass man bei uns jederzeit über das Christentum spotten darf, Schwulenwitze dagegen seien verpönt. Ist das wirklich so schwer zu verstehen? Vor ein paar Jahrzehnten wurden in Deutschland Homosexuelle umgebracht, die Kirchen dagegen hatten bis vor ein paar Jahrzehnten die Macht, Filme aus Kinos zu verbannen und die Sexualgesetzgebung zu dominieren. Die Verfolgten von gestern beanspruchen, für eine gewisse Zeit, eine Schutzzone. Die Mächtigen von gestern, die heute immer noch eine gewisse Macht besitzen, müssen sich Spott gefallen lassen.

Der Islam muss bei uns, wie das Christentum, ohne den Bonus des schlechten Gewissens auskommen. Es stimmt: Einige der dänischen Karikaturen, über die man sich in der islamischen Welt aufregt, wären in keinem seriösen Medium gedruckt worden, wenn sie Schwarze oder Juden gezeigt hätten. Die gleichen oder noch bösartigere Zeichnungen wären allerdings ohne weiteres druckbar, wenn sie zum Beispiel einen Erzbischof zeigen. In den westlichen Islamkarikaturen ist auch ein Rest von Unschuld erkennbar, das Bewusstsein, sich gegenseitig in den letzten Jahrzehnten keine monströsen Verbrechen angetan zu haben, keine Verbrechen vom Kaliber der Sklaverei oder des organisierten Völkermords der Nazis.

Bekenntnisse zur Meinungsfreiheit aber sind nur dann etwas wert, wenn sie auch für diejenigen gelten, für die wir keine Sympathie aufbringen, für Fundamentalisten, für Rechte, für Sektierer, solange sie nicht mit Gewalt drohen. Nicht alles muss überall gedruckt werden, aber fast alles muss druckbar sein. Erst wenn die Linken einmal geschlossen für die Rechten aufstehen, oder umgekehrt, sind Thomas Paine und Voltaire wirklich verstanden worden.

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