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Topographie des Terrors: Alltag im Nazireich

Topographie des Terrors: die neue Dauerausstellung im Kellergraben zeigt "Berlin 1933-1945. Zwischen Propaganda und Terror".

Zwischen der „großen“ Geschichte und dem „kleinen“ Alltag klafft unvermeidlich ein Riss. Um wie viel mehr beim schwärzesten Kapitel der deutschen Geschichte, der Zeit der Naziherrschaft. Zwischen Eroberungskrieg und Völkermord auf der einen und dem Alltag mit Blockwart und Reichsarbeitsdienst auf der anderen Seite stellt sich verbindende Erinnerung nur mühsam her. Nur mit der Trennung von privatem Erleben und kaum geglaubter Realgeschichte konnten die Deutschen das Trauma der NS-Zeit hinter sich lassen und ihr zum Neubeginn verklärtes Weiterleben nach dem 8. Mai 1945 verkraften, hüben wie drüben.

Die deutsche Teilung als neue, aufwühlende Gegenwart nach Kriegsende bildet zu Recht das Schlusskapitel der neuen Dauerausstellung der Topographie des Terrors im Kellergraben unter freiem Himmel. „Berlin 1933–1945. Zwischen Propaganda und Terror“ ist die Ausstellung aus Bildtafeln, erläuternden Texten sowie Bildschirm- und Hörstationen überschrieben, die die Fehlstelle einer Gesamtdarstellung Berlins zur Nazizeit mehr beleuchten denn ausgleichen kann. „In der deutschen Hauptstadt hatten nicht nur alle Ministerien ihren Sitz, hier etablierten die Nationalsozialisten auch die wichtigsten Terrorbehörden“, schreibt Topographie-Leiter Andreas Nachama im Vorwort des Katalogs, der künftig wohl ein unentbehrliches Handbuch sein wird. „Für einzelne Bevölkerungsgruppen, beispielsweise Juden, ,Zigeuner’ und Behinderte, bedeutete das den sicheren Tod. Die Berliner ,Volksgenossen’ hingegen erlebten den Krieg zunächst als schnelle Abfolge von Siegen.“

Das genau ist die Spannweite, die die Ausstellung ausmessen muss, von der „Volksgemeinschaft“ bis zu Verfolgung, „Kraft durch Freude“ und „Winterhilfswerk“ gegen Verhaftung und Deportation. Und all das in Berlin, der größten, vielfältigsten, widerständigsten Stadt des Deutschen Reichs, die mit dem 30. Januar 1933 beileibe nicht schlagartig braun wurde, sondern Inseln des Andersseins bewahrte, weniger eines politischen Widerstandes als eines privaten, der sich dem Mitmachzwang zu entziehen suchte.

In fünf Kapitel ist die von Claudia Steur und Mirjam Kutzner besorgte Ausstellung chronologisch gegliedert. Das Auftakt- und das Schlusskapitel greifen die Zeit vor und nach der NS-Herrschaft auf, die Kontinuität der Geschichte. Die mit einprägsamem Bildmaterial bestückte Schau macht die Selbstverständlichkeit sinnfällig, mit der Weltgeschichte vor dem Einzelnen abrollt. Der Betrachter der Bildtafeln kann sich in die individuellen Schicksale vertiefen, in das, was der Gang der großen Politik im einzelnen Leben anrichtet. Die 1945 einsetzende Erleichterung des „Wir sind noch einmal davongekommen“ macht ein bekanntes Foto greifbar: das der sommerlich hingelagerten Badenden an der Havel, gleich neben einem Soldatengrab aus den letzten Tagen des Krieges.

Ein Akzent der Ausstellung liegt auf den Handlungsspielräumen des Einzelnen unter den Bedingungen der Diktatur. Negativ wie positiv: Da kommen die Denunziationen zur Sprache, besonders tragisch im Falle der jüdischen „Greifer“, die mit der Gestapo kooperierten, in der vergeblichen Hoffnung, ihre eigenen Familien retten zu können. Da sind auf der anderen Seite die erstaunlichen Dokumente der Rettung einer „Zigeuner“-Familie, die in einer Kleingartenkolonie wohnt und von missgünstigen Kleingärtnern bei der Kripo denunziert wird. Noch im Dezember 1943 wird von 30 Nachbarn (!) brieflich bescheinigt, dass gegen „Familie Krause keine Klagen geführt“ würden – was die „Dienststelle für Zigeunerfragen“ bewog, die „Gründe der Nichteinweisung“ ins Konzentrationslager ihrerseits wertneutral festzuhalten.

Das war nicht die „Volksgemeinschaft“, die die Nazis durch Lockungen und Drohungen zu installieren suchten, durch Ausschluss aller „Fremdvölkischen“. Dass die Ausschließung nach 1945 weiterging, ist etliche Glastafeln weiter zu entdecken: als in der DDR die Zeugen Jehovas als „Agenten-Zentrale, die systematisch Zersetzungsarbeit für ihre amerikanischen Auftraggeber leistet“, von jeglicher Unterstützung ausgeschlossen werden. Otto Rosenberg hingegen wurde vom West- Berliner Landgericht als „Zigeuner“ die Entschädigung verweigert: „Hat keine Bindung an die Stadt Berlin.“ Der jüdische Fabrikant Julius Fromm erhielt sein im amerikanischen Sektor gelegenes Wohnhaus 1947 zurück, die von den Nazis „arisierte“ Fabrik im Sowjetsektor jedoch nicht: Er sei „jüdischer Inhaber, kapitalistischer Ausbeutertyp“.

Über dem Ausstellungsgraben stehen die Reste der Mauer, die Berlin seit 1961 Berlin teilte. Geteilt blieb auch die Erinnerung an die Nazizeit – und für beide Seiten je nach Tagespolitik domestiziert. Das ist vorbei. Aber auch heute gibt es kein beruhigendes „Es war einmal“. Der Historiker Peter Steinbach, Berater der Topographie, formulierte es bei der gestrigen Eröffnung so: „Für mich bleibt das wichtigste Kennzeichen der Berliner Zeitgeschichte ihre Zwiespältigkeit, ihre Ambivalenz.“ Zeitgeschichte müsse „als vergangene Realität ausgehalten werden“. Und die Sonne strahlte, als böte die Ausstellung nicht den geringsten Schrecken.

Topographie des Terrors, Niederkirchnerstr. 8, vorerst bis Mitte November, täglich 10–20 Uhr, Eintritt frei. Katalog 10 €.

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