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Tori Amos

© Universal

Tori Amos im Tempodrom: Die Eiskönigin

Piano-Pop: Tori Amos gibt im Berliner Tempodrom ein kühles, routiniertes Solokonzert

Die Musen schwiegen. Hartnäckig. Also brachte Tori Amos Bewegung in die Sache, indem sie sich von ihrer langjährigen Wahlheimat Cornwall aus auf eine Reise durch das Land ihrer Cherokee-Vorfahren begab. Dort, in den Appalachen zwischen North Carolina und Tennessee, erinnerte sie sich an ihren verstorbenen Großvater, fühlte sich geerdet und fand Inspiration für ihr gerade erschienenes 15. Studioalbum „Native Invader“, das trotz gewisser Längen eine ganze Reihe starker Songs versammelt.
Gute Vorzeichen also für die gleichnamige Tour, die die 54-jährige Singer-Songwriterin auch ins Berliner Tempodrom führt. Als Bühnenbild hat sie das Foto eines lichterloh brennenden Waldes gewählt, was wohl den Kreislauf der Natur symbolisieren soll. Oder ihre heißen Gefühle? Denn schon beim Hereinkommen formt sie mit den Fingern ein pulsierendes Herzchen und verbeugt sich extratief. Nach dem zweiten Lied behauptet sie bereits, dass sie die Tour hier beenden und immer weiterspielen wolle, weil sie uns, das andächtig lauschende Publikum, so sehr liebt. Leider ist in den rund hundert Minuten ihres Soloauftritts wenig von dieser Liebe zu spüren. Sehr kühl und routiniert spult Amos ihr Programm herunter. In ihrem üblichen Klavierhocker-Spreizsitz zwischen Bösendorfer-Flügel und Keyboards wirkt sie fast roboterhaft, wenn ihr Kopf kurz in Richtung Saal zuckt. Das Lächeln wie festgetackert, die Augen hinter einer riesigen Brille.
Großen Anteil an diesem eisig-artifiziellen Eindruck hat der Hall-Effekt, der fast die gesamte Zeit auf den Gesangsmikrofonen liegt. Mitunter klingt es, als sänge Tori Amos im gekachelten Keller eines Spukschlosses. Nötig hätte sie diesen Zauber nicht, denn ihr Mezzosopran erreicht immer noch klirrend klare Höhen, kann dramatisch flackern wie im Eröffnungsstück „Iieee“ oder sich auch mal in Rock-Rage hineinsteigern wie beim Finale von „Crucify“. Dieser schon beim ersten Orgelakkord bejubelte Hit von ihrem Debütalbum „Little Earthquakes“ (1992) ist ein Höhepunkt des Abends und hat auch ohne Schlagzeug eine immense Kraft. Tori Amos hängt sich richtig rein, vor allem als sie den von der Platte abweichenden Schlussteil erreicht, in dem sie die Zeile „Never going back to crucify myself“ mehrfach wiederholt und „myself“ mit „my land“ variiert.

Die aktuelle politische Entwicklung in den USA hat Spuren hinterlassen

Sie selbst und ihr Land sind stets zentrale Themen bei Tori Amos gewesen. Auch auf dem neuen Album hat die aktuelle politische Entwicklung in den USA Spuren hinterlassen. Anders als vor zehn Jahren in ihrem expliziten Anti-Bush- Song „Yo George“ packt sie die Abneigung gegen ihren Präsidenten nun aber in hintergründigere Texte. So etwa bei dem von einer Wah-wah-Gitarre getragenen Midtempo-Song „Broken Arrow“, der von der bedrängten Lady Liberty erzählt. In Berlin spielt sie den Song nicht, äußert sich nicht politisch, sagt überhaupt sehr wenig. Vielleicht ist sie im Geiste bei ihrer Mutter, die nach einem Schlaganfall nicht mehr kommunizieren kann. Ihr ist ein Song auf „Native Invader“ gewidmet.
Immerhin ein paar würdigende Worte für einen großen verstorbenen Kollegen findet Amos vor dem traditionellen Cover-Teil, in dem sie David Bowies „This Is Not America“ mit Suzanne Vegas „Luka“ vermischt und eine packende Version von Joni Mitchells „A Case Of You“ präsentiert. Ihr neues Album lässt die einstige Bar-Pianistin hingegen fast links liegen. Nur zwei der neuen Songs daraus spielt sie. Glücklicherweise ist „Reindeer King“ dabei, eine typische Amos-Ballade von berückender Melodieschönheit, in der ihre kristallglitzernde Stimme elegant wie eine Eistänzerin über die pulsierenden Pianoflächen gleitet. Hier funktioniert das minimalistische Konzept des Abends gut, doch oft wünschte man sich eine Band und etwas vielfältigere Arrangements. Schön, dass bei den Zugaben zumindest einige Rhythmusspuren zugespielt werden, was die mittlerweile stehende Menge beim immer noch wunderschönen „Sorta Fairytale“ in leichte Tanzschwingungen versetzt. Tori Amos verschwindet anschließend rasch – ein frostiger Wind weht vorüber.

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