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Kultur: Total normal

Ab in die Achtziger: Mit der Bestseller-Verfilmung „Liegen lernen“ geht die Retro-Welle weiter. Warum ist sie so erfolgreich?

Sind alle so jung, Kinder beinahe. Unbedingt liebenswert, selbst wenn sie sich blöd gegenüber Frauen benehmen und jede Begegnung verpatzen. Man kann ihnen deshalb nicht böse sein, haben sie doch dieses arglose Lächeln. Ein Unschuldslächeln, ohne Hintergedanken und ohne Kalkül. Alles meinen sie, wenn überhaupt, irgendwie gut: Alex in „Good Bye, Lenin!“ zum Beispiel. Oder Fabian Busch als Helmut in „Liegen lernen“. Du bist süß, sagt Britta zu Helmut. Du wirst so schön rot.

Wir schauen zurück und erröten ebenfalls sanft: beim Anblick der untergegangenen DDR, der Achtzigerjahre, der deutschen Vergangenheit. Ostalgie, Westalgie, Club-Zigarettenreklame, BiografienBoom – von „Verschwende deine Jugend“ bis zum „Wunder von Bern“, das im Oktober ins Haus steht: alles Retro.

Im Kino hat dieses Phänomen eine eigene Ästhetik hervorgebracht, die erstmals in der „Sonnenallee“ auftauchte: sanfte Auf- und Abblenden, ausgebleichte Farben, cooles Design zwischen Schmuddel und Spießertum. Eine Ahnung von Patina liegt wie ein Film über den Bildern, und die Off-Stimmen der Ich-Erzähler verstärken die Anmutung des „Es war einmal“. Keiner brüllt, keiner flippt aus, keiner tut was Verbotenes. Die Ironie ist leise und die Melancholie ebenfalls. Man betrachtet sich selbst mit leicht amüsiertem Blick. Retro ist die paradoxe Kunst der butterweichen Überzeichnung. Heike Makatsch schreibt im „Spiegel“ über „Liegen lernen“, dass dieser Film „sich ganz warm anfühlt“. Ja, man kann sich wärmen an diesen Bildern wie an einem Lagerfeuer.

Die Retro-Ästhetik hat eine merkwürdige Wirkung. Die jugendlichen Filmhelden sehen auf den zweiten Blick ziemlich alt aus; die Infantilisierung geht mit der Geriatrisierung Hand in Hand. In „Liegen lernen“ lässt Regisseur Hendrik Handloegten einen gerade mal 30-Jährigen sein bisheriges Liebesleben rekapitulieren: Da fängt eine Zukunft eben erst an, und alles Vorherige muss nacherzählt, in Kapitel unterteilt und resümiert werden. Tun das sonst nicht Leute ab 60?

Bloß nicht handeln, Reagieren ist alles, lautet Helmuts Devise. Erstes Kapitel seiner Jugendbiografie in der Provinz ist die blonde Britta, Typ große Jugendliebe (Susanne Bormann). Zweites Kapitel sind die WG-Frauen Gisela (wunderbar linkisch: Fritzi Haberlandt) und Barbara (spröde wie immer: Sophie Rois). Das dritte Kapitel bestreitet Gloria, die Sportreporterin, und im vierten Kapitel verrät Tina, dass sie schwanger ist und das Kind zur Welt bringen wird – mit oder ohne Helmut. Frei nach Frank Goosens gleichnamigem Bestseller geht es um die Torschlusspanik eines werdenden Vaters. Ach nee!

Apropos Bestseller: Das Retro-Phänomen im Kino lässt sich nicht nur als Symptom der Sehnsucht nach gemütlichen Stunden in ungemütlichen Zeiten deuten. Man kann es auch als Indiz dafür nehmen, dass es allmählich so etwas wie eine funktionierende Filmindustrie gibt in diesem Land. Eine gesunde Filmwirtschaft zeichnet sich unter anderem dadurch aus, dass erfolgreiche Bücher erfolgreich verfilmt werden. Und weil auf dem Buchmarkt Retro en vogue ist, schwappt die Welle nun auch ins Kino. Bald kommt noch eine Achtzigerjahre-Bestsellerverfilmung: „Herr Lehmann“, Sven Regeners lakonische Kreuzberg-Story in der Regie von Leander Haußmann.

Warum ausgerechnet die Achtziger? Weil die Autoren jener Jahrgänge jetzt alt genug sind, um Bestseller zu schreiben. Weil sie wegen des liberalen Erziehungsstils der Achtziger genug gesundes Selbstbewusstsein fürs Schreiben haben. Und wegen des Individualismus. Trotz Tschernobyl und Pershing II, Hausbesetzung und Öko-Apokalypse (was ein Film wie Hans-Christian Schmids „23“ noch thematisierte) waren die Achtziger ein unpolitisches Jahrzehnt. Eine Zwischen-Ära: nach dem deutschen Herbst, vor dem Fall der Mauer. In „Liegen lernen“ geht Helmut nur in die Nicaragua-Gruppe, weil er bei der Anfertigung des Demo-Transparents mit Britta knutschen kann. Keine Wir-Epoche war das, sondern eine Ich-Zeit. Dass die singulären Tennis-Stars Boris Becker und Steffi Graf damals populärer waren als der Gruppensport Fußball, passt ins Bild. Die Achtziger als Zeit der Narzissten: Im Kino erwachsen daraus keine eifrigen Selbstdarsteller, sondern träge Antihelden, Monaden fast. Einer solchen Gemütsverfassung liegt die einsame Tätigkeit des Romaneschreibens, und vielleicht haben wir ja deshalb derzeit so viele Achtzigerjahre-Romane und -Filme.

Das deutsche Publikumskino, so scheint es, ist bei sich selbst angekommen. Nach den in zeitloser Beliebigkeit angesiedelten Beziehungskomödien (der Achtziger!) riskierte es einen ziemlich gnadenlosen Blick auf die Gegenwart, mit Geschichten von Oskar Roehler, Christian Petzold oder Andreas Dresen. Aber deren „Nachtgestalten“ waren sperrig – das versprach keinen großen Erfolg. Aussichtsreicher ist da der Trick mit der kleinen Zeitreise. Blenden wir einfach ein paar Jährchen zurück, schon wird das Licht wärmer und der Blick verklärt. Hier lass dich nieder.

In den Achtzigern ging es uns prima. Jetzt, angesichts der Agenda 2010, haben wir verschärftes Interesse an der Rückkehr zum Status quo ante. Die Sehnsucht nach dem Friedensschluss mit der Vergangenheit ist im Zusammenhang mit der (N)ostalgiewelle schon zur Binsenweisheit geworden. Allenthalben wird Normalität beschworen. Das Kino, diese Höhle des kollektiven Unterbewusstseins, liefert die Geschichten dazu: die Geschichte von der ganz normalen Zivilcourage deutscher Frauen in der Nazizeit, in Margarethe von Trottas „Rosenstraße“. Die Geschichte von der 1954er Weltmeisterschaft zur Überwindung des Kriegstraumas, in Sönke Wortmanns „Wunder von Bern“. Und dann die Geschichte vom Mauerfall, die viele westdeutsche Zeitgenossen am liebsten nur aus dem Augenwinkel zur Kenntnis genommen hätten. Wie Helmut, wie Herr Lehmann: Ist der 9. November nicht bloßer Störfaktor für mehr Menschen, als öffentlich zugegeben wird? Dazu sind es Geschichten von Lehrlingen, kleinen Bankangestellten, ewigen Studenten, Kordjackenträgern. Sie sind nicht sexy und nicht hässlich. Bloß total normal.

Auch die großen Filme des Neorealismus oder des New British Cinema widmen sich kleinen Leuten. Aber die haben richtige Probleme, deren Lösung sie über sich selbst hinauswachsen lässt. Daher rührt die Leblosigkeit vieler hiesiger Normalo-Stories: Vor lauter saturierter Belanglosigkeit seines Helden ist „Liegen lernen“ am Ende: belanglos.

Vielleicht liegt es ja an der deutschen Gründlichkeit. So gründlich, wie wir Täter waren, so gründlich, wie wir verdrängten und zuletzt die „Täter waren auch Opfer“-Debatte führten, so gründlich wird jetzt betont, dass wir auch nur gewöhnliche Menschen sind. Außenseiter sind out: Die Zukunft gehört dem Biedermeier, grundiert mit softem Gitarrensound.

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