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Kultur: Tote Hose?

Wie das Boulevardtheater durch Berlin wandert

Er ist oft laut und bollerig und eher plump als zart. Er kann sehr anstrengend sein, protzig und nervig. Er will glitzern und schäumen wie eine geschüttelte Flasche Champagner – und doch ist der Boulevard im Grunde ein scheues Wesen, das man lieben muss, wenn man Schauspieler liebt. Seit Jahren wandert das Boulevardtheater durch Berlin, und dort, wo er einmal seine erste Adresse hatte, in den beiden Theatern am Kurfürstendamm, soll ihm jetzt die Zukunft verbaut werden. Es werden auch Bankfilialen und Immobilienfonds geschlossen, und viele Kirchen stehen leer. Aber der Abriss eines Theaters ist ein barbarischer Akt. Öffentlicher Raum wird dabei vernichtet. Und Tradition. Aber viel schwerer wiegt der Verlust all dessen, was noch nicht geschrieben, inszeniert, gespielt, gesprochen ist.

Die existenzbedrohende Kündigung des Mietvertrags trifft die Woelffer-Bühnen in einem Moment, da sie um ein neues Profil ringen. Sie versuchen es mit Comedy (Bastian Pastewka in „Männerhort“) und einem Klassiker des Genres: Katharina Thalbach setzt „Bunbury“ von Oscar Wilde in Szene. Lange haben die Woelffers die Entwicklung verschlafen: weil es auch zu lange zu gut lief mit dem altbewährten Rezept der Schenkelklopfer-Komödien mit Berliner Schnauze. Dabei beweist das Publikum bei all den Ehebruchsklamotten eine nibelungenhafte Treue: 240 000 Zuschauer im letzten Jahr, darunter viele Touristen, sind eine wirtschaftliche Macht.

„Das Geld liegt auf der Bank“: Curth Flatows Kriminalkomödie lief in den sechziger Jahren – mit Rudolf Platte als Panzerknacker – über 500 Mal am Hebbel-Theater, dem heutigen HAU, wo man sich am Kapitalismus jetzt eher diskursiv abarbeitet. Es war einer der größten Boulevarderfolge der Berliner Nachkriegszeit. Flatow schrieb damals auch für die Woelffer-Bühnen. Sie hatten Pfitzmann, Juhnke, Wolfgang Spier. Sie schienen ungefährdet. Ihr Boulevardtheater war einer der beliebtesten Sonnenstrände auf der Insel West-Berlin.

Mitte der achtziger Jahre aber zog es Harald Juhnke weg vom Kurfürstendamm, zu Höherem. Er wollte, wie man so sagt, ernsthafte Rollen spielen. Das war schon immer eine Bedrohung des Boulevard in Deutschland. Man nahm ihn künstlerisch nicht ernst. Ausnahmen wie Peter Zadek, der gelegentlich Oscar Wilde oder Ayckbourn inszenierte, bestätigen nur die Regel. Juhnke landete bei seinem Fluchtversuch damals am Renaissance-Theater. Er spielte Molière, O’Neill und den „Entertainer“ von Osborne. Und es war boulevardesker als alles, was er am Kurfürstendamm je gespielt hatte; wegen des Anspruchs, mit dem mal das Publikum, mal die Regisseure und dann auch der Star selbst nicht zurecht kamen.

Am Renaissance-Theater fand auch später das geniale Trio Peter Simonischek, Udo Samel und Gerd Wameling Unterschlupf – mit Yasmina Rezas „Kunst“. Als diese wunderbare Komödie, die sich zu einem der größten Theatererfolge aller Zeiten entwickeln sollte, an der Schaubühne herauskam, rümpften nicht wenige die Nase. Reza war ihnen für die Schaubühne nicht fein genug. Boulevardtheater hierzulande steht immer unter dem Anfangsverdacht der Blödheit und Unbildung. Eine blöde Shakespeare- oder Schiller-Inszenierung kommt grundsätzlich besser durch als eine Klamotte.

Harald Juhnke wanderte weiter – zum Maxim Gorki Theater, wo er in dem Intendanten Bernd Wilms und der Regisseurin Katharina Thalbach endlich Partner fand, die ihn auszubalancieren wussten, jedenfalls auf der Bühne. Die Geschichte des Berliner Boulevardtheaters ist keine reine Juhnke-Geschichte. Doch an seinem Beispiel lässt sich begreifen, wie schwer es (geworden) ist, leichthändiges Entertainment zu produzieren. Und immer, wenn man sich das bessere Boulevardtheater verspricht, kommt Katharina Thalbach ins Spiel. Übrigens auch in den letzten Tagen des Schiller-Theaters.

Der Boulevard wandert. Er geht in die Bar jeder Vernunft, er hat mit dem BE-Chef Claus Peymann den einzigen veritablen Striese-Nachfolger in dieser Stadt. Der Boulevard kehrt im Sommer zurück zur Friedrichstraße, wo der Theaterunternehmer Falk Walter mit Brechts „Dreigroschenoper“ den alten Admiralspalast wiedereröffnet, mit Campino von den Toten Hosen als Macheath.

Der Boulevard der Woelffers ist nachdenklich, unsicher, aktionistisch geworden. Doch die Banker und Immobilienhändler, deren Stammhaus gern als Kultursponsor auftritt, haben offensichtlich die Widerstandskräfte unterschätzt: Heute kommt Klaus Wowereit, Berlins oberster Boulevardier, zum Solidaritätsbesuch an den Kurfürstendamm.

Rüdiger Schaper

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