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© Uwe Anspach/dpa

Totenmasken von RAF-Terroristen: Stummer Schrecken

Eine Esslinger Galerie zeigt die Totenmasken von Gudrun Ensslin, Andreas Baader und Jan-Carl Raspe. Darf man das?

Dass es sie gibt, weiß man seit vergangenem September. Da bot der Zinnowitzer Kunsthändler Andreas Albrecht dem Bonner Haus der Geschichte die Totenmasken von Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe an. Museumsdirektor Hans Walter Hütter lehnt ab: „Wir haben nicht vor, Totenmasken von Tätern in unserem Museum zu präsentieren“, erklärt er heute. Zudem seien die Umstände der Maskenabnahme unklar.

Nun sind die drei Gipsmasken erstmals öffentlich zu sehen, in der Esslinger kommunalen Kunstgalerie Villa Merkel, und zwar im Rahmen einer Ausstellung über das Jahr 1969, die unter anderem die Mondlandung, Charles Manson und eben die RAF thematisiert. Und natürlich gibt es die zu erwartende Aufregung. Schwäbische Lokalpolitiker empören sich, eine Mitarbeiterin des Kunstamtes bleibt der Ausstellungseröffnung fern, in den Leserbriefspalten tobt die Auseinandersetzung, Jörg Schleyer, der Sohn des ermordeten Arbeitgeberpräsidenten HannsMartin Schleyer, äußert sich gegenüber der „Bild“: „Ich fühle mich fürchterlich, wenn ich auf diese Fratzen blicke“.

Mit schöner Regelmäßigkeit entzündet sich die Aufregung jedes Mal am Thema RAF: Sei es 2003 beim Versuch der Berliner KunstWerke, eine RAF-Ausstellung zu konzipieren, sei es bei Claus Peymanns Jobangebot an den begnadigten Terroristen Christian Klar oder zuletzt bei Bernd Eichingers RAF-Filmspektakel „Der Baader-Meinhof-Komplex“. Weit interessanter jedoch ist die makabre Vorstellung, welch ein reges Treiben sich in der Nacht nach Entdeckung der Toten im Hochsicherheitstrakt des Gefängnisses von Stammheim entfaltet haben muss. Nicht nur der Gerichtsmediziner HansJoachim Mallach, sondern auch der Tübinger Bildhauer Gerhard Halbritter fertigt Totenmasken an, Letzterer offenbar mit Billigung von Ensslins Vater. Diese Masken findet Loni Halbritter nach dem Tod ihres Vaters in einer Schachtel mit der Aufschrift „Die drei Verbrecher“  und verkauft sie für 20 000 Euro an den Kunsthändler Andreas Albrecht.

Warum die Masken? Warum nun die Aufregung? Klassischerweise entstehen Totenmasken zum ehrenden Gedenken der Verstorbenen – seit der Antike, die etwa Goldmasken von Tutenchamun und Agamemnon überlieferte. In der Ära von Klassik und Romantik erlebt der TotenmaskenKult einen Boom – Geistesgrößen wie Goethe und Schiller, Beethoven und Chopin, Staatsmänner wie Napoleon und Friedrich der Große werden verewigt.

Was nicht nur der Erinnerung dient, sondern auch aus der Vorstellung heraus entsteht, in der Stunde des Todes sei der Mensch ganz bei sich. So hat die Kulturwissenschaftlerin Claudia Schmölders gerade erst anlässlich einer Tagung in der Akademie der Künste zum Thema „Gesichter“ in dieser Zeitung festgestellt: „Totengesichter spielen eine zentrale Rolle im fazialen Diskurs, sie sind die Vorbilder und Erben der Fotografie. Rein logisch erlösen sie uns von der Maskenwelt: Tote können sich nicht mehr verstellen.“ Das hat auch makabre Aspekte. Neben der unverstellten Physiognomie ist es oft genug der Ausdruck von Leiden und Auszehrung, die abscheuliche Fratze des Todes, die uns aus diesen Masken entgegenblickt. Nicht nur die berühmte Maske Friedrichs II. mit ihren eingefallenen Wangen ist ein erschreckendes Beispiel. Auch die nun präsentierten Masken der RAF-Mitglieder, Gudrun Ensslins im Tod gebleckte Zähne, die starr halboffenen Augen, zeugen weit mehr vom Schrecken des Todes, als dass sie zu (vielleicht verehrendem) Gedenken einladen. Die Vorstellung, dass noch Haare der Toten an den Gipsabdrücken kleben, machen die Exponate erst recht grausig.

Da hat Gerhard Richters StammheimZyklus, der in künstlerisch verwischten Schwarz-Weiß-Bildern die Todeszellen und die Toten zeigte, ganz andere Emotionen geweckt – einschließlich subtiler Kritik an Medienvoyeurismus und Sensationslust. Ein Mahnmal der Gedenkens, zumindest ein Zeichen der Anerkennung, dass es Menschen waren, die so ihr Ende fanden, ist dieser heute im New Yorker Museum of Modern Art gezeigte Zyklus viel eher als die Totenmasken, die nur makabre Kuriosa sind.

Also noch einmal: Zeigen oder nicht? Solche Diskussionen gab es zuletzt bei Mumienausstellungen, die aber immerhin den präparierten Körper des Toten ausstellten und damit Fragen der Pietät ganz anderer Art stellen – ähnlich wie, ungleich geschmackloser, der selbst ernannte Aufklärer Gunther von Hagens mit seinen Totenskulpturen. Bei den RAF-Totenmasken geht der Streit eher um die Frage: Unzulässige Ikonisierung oder historisch wertvolle Dokumentation, Ehrung oder Inszenierung? Über Charakter, Leben und Taten der RAF-Terroristen sagen solche Masken nichts, auch mit der Entscheidung, sie zu zeigen, ist kein Urteil darüber gefällt. Das geschieht erst in den erbitterten Reaktionen. Was beweist, dass das Thema RAF keineswegs im gipsernmusealen Erinnerungsraum angekommen ist, sondern im Gegenteil: noch sehr lebendig.

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