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Kultur: Totentrompeten

Der Berliner Orchesterlandschaft stehen brutale Einschnitte bevor

Nein, man möchte lieber nicht so genau wissen, welche Akten am gestrigen Rosenmontag in der Kulturverwaltung gewälzt wurden. Während das Berliner Sinfonie-Orchester im Konzerthaus am Gendarmenmarkt seine Pläne für die kommende Saison präsentierte, wurde zeitgleich im Hause von Senator Thomas Flierl vielleicht schon über die Abwicklung des Orchesters beraten. Der hauptstädtischen Musiklandschaft stehen brutale Einschnitte bevor. Jetzt, wo die Opernstiftung unter Dach und Fach ist, muss Flierl den nächsten großen Brocken anpacken: Acht Millionen Euro soll er bis 2008 aus dem Orchesterbereich herausquetschen.

Wenn sich der Senat nicht darauf besinnt, dass die Klassikszene einen entscheidenden Tourismusfaktor für die Stadt darstellt, bedeutet das die Auflösung von mindestens zwei Orchestern. Über die Berliner Symphoniker hat die rot-rote Koalition bereits ihr Todesurteil gesprochen – das aber noch vom Abgeordnetenhaus gestoppt werden kann. Weil die Opernorchester ihre Sparleistung innerhalb der Stiftung erbringen und die Philharmoniker selbst unter Finanzpolitikern als unantastbar gelten, rücken die drei verbleibenden Ensembles in den Blickpunkt der Kulturverwaltung: Sicherheitshalber hat man die Verträge der Chefdirigenten – Eliahu Inbal beim Berliner Sinfonie-Orchester (BSO), Marek Janowski beim Rundfunk-Sinfonieorchester (RSB) und Kent Nagano beim Deutschen Symphonie-Orchester (DSO) – alle nur bis Sommer 2006 befristet.

Durch die Ankündigung Naganos, seinen Vertrag nicht verlängern zu wollen, hat das DSO eine offene Flanke. Zudem steht die Rundfunkorchester und-chöreGmbH (ROC), in der DSO und RSB mit Rundfunkchor und RIAS Kammerchor zusammengefasst sind, kurz vor ihrer Implosion. So wird Berlin vermutlich versuchen, als einer von vier Gesellschaftern aus der ROC-Holding auszusteigen. Damit wäre genau die von Sarrazin geforderte Sparsumme erbracht.

Gelingt dies nicht, könnte Flierl versucht sein, zwei Orchester zu fusionieren: Auf den ersten Blick erscheint das machbar, spielen doch BSO, RSB und DSO mit nahezu gleicher Besetzungsstärke nahezu dasselbe Repertoire in nahezu gleicher Qualität. Dass jedes Orchester hingebungsvoll daran arbeitet, ein ganz spezielles Klangprofil zu entwickeln, hören, wenn überhaupt, nur die Fachleute. Fatal wäre so eine Idee aus einem anderen Grund: In den letzten Jahren hat in den Orchestern ein Generationswechsel stattgefunden. So sind beispielsweise beim BSO die Hälfte aller 108 Musiker seit maximal fünf Jahren dabei. Jedem leuchtet aber ein, dass die Zusammenlegung zweier junger Orchester nach deutschem Recht nur eine Truppe alter Männer hervorbringen kann.

Mit seinen 15000 Abonnenten steht das BSO recht gut da. Bei der gestrigen Pressekonferenz machte Intendant Frank Schneider Lust auf die 78 Konzerte des Orchesters in der kommenden Saison, 21 davon zusammen mit Chefdirigent Eliahu Inbal. Am 1. Oktober will man die Wiedereröffnung des Hauses vor 20 Jahren feiern. Und dennoch war auch von der „Ruhe vor dem Sturm“ die Rede. Am Aschermittwoch könnte schon alles vorbei sein.

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