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Trabbi

© ddp

Trabbi-Jubiläum: Der ostdeutsche Volkswagen

Erst wurde er geliebt, später verstoßen und nach der Wende zum Kultauto erhoben. Jetzt feiert der Trabi seinen 50. Geburtstag.

Das erste Auto vergisst man nie. Thomas Winkelmann kommt aus Zwickau, da konnte es nur ein Trabant sein. Ein 601 S de Luxe, pastellweiß mit kristallblauem Dach. Thomas Winkelmann war vier Jahre alt, als er ihn vom Werk abholte. Vier Jahre alt?

Na ja. Eigentlich war es Omas Trabi. Aber Thomas Winkelmann war schon 1979 dabei, als Oma den Wagen in Zwickau abholte. Er durfte die Schlüssel in seiner Hand klimpern lassen und während der Jungfernfahrt auf die Fahrzeugpapiere aufpassen, wahrscheinlich hat er sie gehütet wie einen Teddybären. 28 Jahre ist das jetzt her, und Winkelmann erzählt davon, als käme er gerade vom Werk. Er hat auf Omas Trabi das Autofahren gelernt, und heute steht der 601 S de Luxe in seiner Garage. Pastellweiß mit kristallblauem Dach. Thomas Winkelmann mag ihn nicht mehr hergeben, „nie und nimmer, für nichts in der Welt“.

Das Verhältnis der Ostdeutschen zum Trabi ist immer ein ganz besonderes gewesen. Sie haben ihm gehässige Spitznamen gegeben – wie Asphaltblase oder Rennpappe – und Witze über ihn gemacht, ein paar von ihnen sind sogar lustig. Sie haben ihn gehegt und gepflegt bis in hohe Alter– nicht weil er so schön war, sondern weil man wegen der chronischen Lieferprobleme so lange auf einen warten musste, zehn Jahre im Durchschnitt. Und weil es keine anderen Autos gab (der Wartburg war zu teuer, Wolga oder Lada gingen meist an die Prominenz und die Nomenklatura der Partei, die paar Golfs sowieso). „Trabifahren war besser als Fahrradfahren“, sagt Winkelmann.

Als es nach dem 9. November 1989 andere Autos gab und bald auch anderes Geld, war es mit der Liebe erst mal vorbei. Von nichts trennten sich die DDR-Bürger schneller als von ihrem Auto. Alte 601er, über Jahre liebevoll gepflegt, wurden im Straßengraben abgestellt, im Wald entsorgt, im See versenkt. Im Geist dieser früheren Wendemonate war so etwas wie Ostalgie schwer vorstellbar, und wer hätte damals schon gedacht, dass der Trabi, dieser ostdeutsche Volkswagen, einmal mit Pomp und Getöse seinen 50. Geburtstag feiern würde. Jetzt ist es so weit, und die ungezählten Trabi-Clubs in Deutschland, Holland, Tschechien und sonst wo auf der zweigetakteten Welt kommen gar nicht mehr heraus aus dem Feiern. Es ist ein einziges Partyjahr, vom Frühling über den Sommer bis in den späten Herbst hinein, denn der eigentliche Geburtstag steigt erst am 7. November.

Dieses Datum war so sorgfältig gewählt wie heute die Geburt eines Wunschkindes per Kaiserschnitt. Der 7. November 1957 war der vierzigste Jahrestag der Großen Oktoberrevolution, und die DDR-Regierung wollte das Volk mit einem Geschenk überraschen, das selbstverständlich im Zeichen unverbrüchlicher Freundschaft mit dem sowjetischen Brudervolk stand. An diesem 7. November 1957 stellte der VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau ein erstes Muster vor (das erste Auto lief erst ein Jahr später vom Band). Auch der Name ist eine Hommage an die Verbündeten: Trabant, zu Deutsch: Begleiter, Russisch: Sputnik – so hieß der Satellit, den die Sowjetunion 1957 um die Erde kreisen ließ.

War der Trabi ein Wunschkind? Autos galten den Pankower Apparatschiks lange Zeit als dekadentes Zeugs. Bis ihnen immer mehr Menschen davonliefen, immer in dieselbe Richtung, nach Westen, dem Wirtschaftswunder entgegen. Rollendes Symbol des Aufschwungs in der Bundesrepublik war der VW-Käfer, er stand für die uneingeschränkte Mobilität eines jeden Menschen und damit für seine Freiheit.

Also gut, dachte sich die Partei, diese Freiheit sollten auch die Deutschen im Osten haben. An die Arbeit, Genossen! Auf zur revolutionären Motorisierung der Arbeiter- und Bauernschaft! Das neue Auto sollte in Zwickau produziert werden, in den Werken die vormaligen Weltunternehmen Horch und Audi. Der neue Kleinwagen sollte maximal 600 Kilogramm wiegen, fünfeinhalb Liter Kraftstoff auf 100 Kilometern verbrauchen und nicht mehr als 4000 Mark kosten. Und, wichtiger noch: Die Karosserie sollte aus einer Kunststofffaser gefertigt werden, denn Tiefziehblech war knapp in der DDR und stand obendrein auf einer Embargoliste, über die das westliche Ausland wachte. Das Ergebnis der vier Jahre währenden Forschungen war einfach, billig und hieß Duroplast.

Als Grundmaterial dienten Baumwollreste aus der UdSSR. Ein Abfallprodukt, das den Trabant zum ersten Recycling-Auto der Geschichte machte. Bis zu 100 Baumwolllagen wurden mit Phenolharz beträufelt, übereinandergelegt und dann zurechtgeschnitten. Im Zwickauer August-Horch-Museum, dem alten Audi-Werk, kann man sehen, wie Arbeiter am Fließband Türen, Kotflügel, Motorhauben zuschnitten. Jedes Stück für sich, mit einer großen Schere, mal mehr, mal weniger genau, den Laubsägearbeiten von Kindern nicht unähnlich. Nächste Station war eine Heißpresse, die nach demselben Prinzip arbeitete wie die Blechpressen bei den Automobilherstellern im Westen.

Thomas Winkelmann steht heute dem Trabi-Club Zwickau e.V. vor. Er besitzt drei Trabis und hat beim Ein- und Ausbau ungezählter Kotflügel, Türen und Motorhauben die Vorzüge des Materials kennen gelernt. Und die Tücken. „Duroplast ist robust und leicht zu bearbeiten, im Rohzustand ein bräunliches Material, der Lack wird später eingebrannt.“ Das aber machte die Nahtstellen porös, die mit Kautschuk geklebten Teile lösten sich und schufen den schlechten Ruf, den der einst revolutionäre Werkstoff bis heute mit sich herumschleppt.

Zunächst aber galt der Trabant als revolutionäre Erfindung. Der sparsame Verbrauch und die einfache Handhabung sprachen (trotz der blauen Zweitakterabgaswölkchen) für die Zwickauer Konstrukteure. Und wer das Design mit der damaligen West-Konkurrenz vergleicht, der wird feststellen: So übel sah das Ost-Auto gar nicht aus. Bis 1962 wurde das Einstiegsmodell P 50 130 000 Mal produziert, der geringfügig modifizierte P 60 noch 110 000 Mal. Sachsenring exportierte nach Holland, Portugal und Osteuropa und konnte doch nie die Nachfrage im eigenen Land befriedigen. Am Ende der DDR war der Bestellrückstand auf 6,2 Millionen Fahrzeuge angewachsen.

Die chronische Unterversorgung hatte auch ihr Gutes. Es war ruhig auf den Straßen, jede Familie hatte nur ein Auto, und 18-jährige Führerscheinneulinge setzten ihr Auto schon mal deswegen nicht gegen einen Baum, weil sie entweder eine sofortige Enterbung fürchten oder noch zehn Jahre auf ihr Auto warten mussten. Ist es gewagt zu behaupten, dass viele Brandenburger Alleebäume dem ostdeutsche Pkw-Desaster ihr Überleben verdanken?

1964 brachten die Zwickauer ein neues Modell auf den Markt. „Das war ja eher ein Zufall“, sagt Thomas Winkelmann. „Der 601 war aufwendiger zu produzieren“, ein bisschen mehr Blech, neue Produktionsstraßen, und genau daran habe sich die Parteiführung gestört. Die Eliminierung des neuen Modells war schon beschlossene Sache, „aber plötzlich stand das Ding irgendwo auf einer Messe“, erzählt Winkelmann, „die Leute haben es gesehen und waren begeistert“, also musste es auch gebaut werden.

So ein Fehler sollte der Partei nie wieder passieren. Sie hatte dem Volk Autos versprochen, von schönen Autos war nicht die Rede. Eisern wurde fortan über die Produktion gewacht, und immer standen Kostenbedenken vor Komfort und Weiterentwicklung. Der Ende der sechziger Jahre konzipierte P 603 sieht auf den noch erhaltenen Holzmodellen aus wie ein früher Golf. Die Zwickauer hatten ihn schon fast bis zur Serienreife entwickelt, als von oben der Befehl kam: Alle Arbeiten einstellen! Alle Pläne und Muster vernichten! Genauso erging es dem sogenannten RGW-Auto, das Sachsenring zehn Jahre später gemeinsam mit Wartburg und den Tschechen von Skoda entwickelte.

Ein Vierteljahrhundert lang blieb der P 601 unangetastet. Es gab ihn als Limousine, Kombi, Coupé und Kübelwagen für die Armee. Meist im Einheitsgrau, aber auch in Taigagrün, Korallrot, Persisch-Orange, Baligelb, Champagnerbeige, Biberbraun, Polarweiß oder Delfingrau. Und blieb doch immer das Auto von 1964. Hinten Haifischflossen, vorn Glubschaugen. Was einmal frech und mutig ausgesehen hatte, wirkte bald hausbacken und irgendwann hoffnungslos veraltet. Die DDR hatte im Wettlauf der Systeme aufgegeben, und nirgendwo war das deutlicher zu sehen als auf der Straße. Der Trabant wurde zum Symbol der Rückständigkeit eines ganzen Systems.

Legende sind die Abenteuer, die ehemalige Trabi-Fahrer mit ihren Wägelchen erlebten. Etwa die Panne eines Ehepaares mit einem nagelneuen P 601 auf der Autobahn zwischen Berlin und Dresden. Der Mann vom Pannendienst schaute unter die Motorhaube und stellt fest: Die Lichtmaschine ist weg. (Die Lichtmaschine war ein wunder Punkt, sie war mit einem Porzellangussstück befestigt, das öfter zerbrach, die vielen Schlaglöcher auf den Straßen taten ein Übriges.) Ob er vielleicht eine neue einbauen könne? Guter Witz, sagte der Mann vom Pannendienst, er habe natürlich keine, wie alle Werkstätten in der DDR, vielleicht lasse sich ein Tauschgeschäft arrangieren, aber dafür benötige er die alte Lichtmaschine. Also zurück auf die menschenleere Autobahn, zu Fuß. Nach langer Suche fand die Ehefrau im Graben „irgend so ein komisches Teil“, das den Mann vom Pannendienst in Entzücken versetzte: Die fabrikneue Lichtmaschine, ein bisschen eingedellt, und natürlich gab es im Tausch dafür eine alte.

Ach ja, die Ersatzteile, ein heikles Thema, denn es gab nie welche. Ein Trabant bestand aus rund 4000 Teilen, und keines von ihnen konnte nicht kaputt gehen. An der Friedrichstraße, genau dort, wo heute das Grand Hotel steht, stand vor der Wende ein Flachbau, in dem es Auto-Ersatzteile gab. Lange Schlagen bildeten sich, was irgendwann auch den Genossen von der Partei auffiel. Die Genossen verbesserten nicht die Belieferung des Ladens, sondern verlegten ihn vom Stadtzentrum an die Peripherie, wo die langen Schlangen nicht so auffielen.

Das Volk hatte sich arrangiert mit seinem Trabi, aber es liebte ihn nicht mehr.

Spät, viel zu spät gab sich das Regime noch einmal einen Ruck. 1984 verabredete die DDR mit Volkswagen ein Joint Venture zur Produktion eines neuen Trabant. Dem Trabant 1.1 wurde sogar ein Viertaktmotor zugestanden. Das Projekt kostete ein paar Milliarden Mark, die genaue Summe ist heute nicht mehr zu ermitteln. Der letzte Kraftakt einer dahinsiechenden Volkswirtschaft, an dem sie kollabieren sollte. Sachsenring baute in Zwickau-Mosel ein neues Werk, aber als am 21. Mai 1990 die Serienproduktion des Trabant 1.1 anlief, wollte dieses Auto niemand mehr haben. VW stellte die Produktion schnell komplett auf den Polo um. Am 30. April 1991 lief in Zwickau der letzte von 3 051 385 Trabis vom Band. Der Rest ist Folklore. Als Erste entdeckten die Westdeutschen den Trabi für sich, als billiges Vehikel mit dem exotischen Chic des wilden Ostens. Dann fuhr Familie Struutz mit dem Familientrabi Schorsch von Bitterfeld nach Neapel – „Go, Trabi, go!“ war 1990 der erste gesamtdeutsche Kinoerfolg. „Netter Film“, sagt Thomas Winkelmann, „aber mit dem Trabi hat er eigentlich nichts zu tun, ist halt eine Komödie“, außerdem stimmten ein paar technische Details nicht, „achten Sie mal drauf, mal fährt der Mann einen 601, mal einen 1.1“.

Mit „Go, Trabi, go!“ begann das Renaissance eines Autos, von dem viele im Nachhinein nur noch die positiven Seiten sahen. Dass man einen Keilriemen auch mit einer Damenstrumpfhose ersetzen konnte, ist eine dieser gern erzählten Geschichten, sie stimmt sogar. Der Trabi war so einfach konstruiert, dass ihn selbst technisch mäßig begabte Fahrer reparieren konnten. Wer die computergesteuerten Hightechmaschinen heutiger Autos kennt und fürchtet, dem wird beim Blick unter die Motorhaube eines Trabi ganz warm ums Herz. Links der Tank (mit Messstab, eine eingebaute Anzeige gab es nicht). Rechts das Getriebe, in der Mitte der Motor.

Es war nicht alles schlecht.

18 Jahre nach der Wende kommt kein Text über den Trabant ohne das Wort „Kult“ aus. Gut 50 000 sind heute noch in Deutschland zugelassen. Es gibt Trabi-Klubs in ganz Europa, die meisten im Osten Deutschlands. In Dresden und Berlin kann man Trabi-Safaris buchen, mehrstündige Fahrten in ein anderes Automobilzeitalter. Revolverschaltung, erster Gang unten rechts, vierter oben links, der Rückwärtsgang gleich hinter dem ersten, und immer Gas geben, auch und gerade im Stand, sonst säuft er ab. Der Blinker springt nicht von allein zurück. Auch bei größter Hitze sollte man das Fenster geschlossen halten, denn die blauen Wölkchen aus dem Auspuff sind schwer erträglich. Beim Trabifahren merkt man noch, dass Autofahren ungesund ist.

Warum fährt man heute noch Trabi? Thomas Winkelmann überlegt einen Augenblick und findet zwei Antworten.

Die erste: „Um andere Leute zu ärgern.“ Schon verstanden – provozieren mit den blauen Abgaswölkchen, die automobile Protest-Alternative zum Wählen der Linkspartei … Nein, nein, sagt Winkelmann, „so nicht, ich meine: andere an der Ampel ärgern“. Golf-Fahrer, die mitleidig hinüberschauen zu dem lila lackierten Trabant 1.1 – und dann nur noch die Reifen sehen, wenn Winkelmann bei Grün aufs Gaspedal drückt. Das macht der neue 1,6-Liter-Motor aus dem Hause Volkswagen. Nicht in jedem Auto, das wie ein Trabi aussieht, ist auch ein Trabi drin. Die zweite Antwort geht tiefer. „Nach der Wende haben erst mal alle gesagt: Weg mit der Scheißkiste, wir wollen jetzt ein richtiges Auto fahren. Das hat ein, zwei Jahre gehalten, aber dann haben die meisten gemerkt: Mensch, in diesem Auto habe ich ja mein halbes Leben verbracht! Das ist doch ein Teil von mir!“

So wie der P 601 S de Luxe, pastellweiß mit kristallblauem Dach, den Thomas Winkelmann als Vierjähriger mit der Oma vom Werk abgeholt hat. Wie oft hat sie nach der Schule auf ihn gewartet und ist dann mit ihm übers Land gefahren. Wie viele Ferienreisen haben sie im Trabi unternommen. Deswegen mag er sich nicht von ihm trennen. Das habe nichts mit Ostalgie zu tun, und dass es bessere Autos gibt, weiß er aus eigener Erfahrung, denn: „Im Stadtverkehr ist er mir zu unpraktisch und zu unbequem.“ Da fährt der Vorsitzende vom Trabi-Club Zwickau e.V. lieber einen Seat Cordoba.

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