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Kultur: Tränen lügen doch

Polleschs „Notti senza cuore“ im Berliner Prater

Von Sandra Luzina

„Warum steht nicht das Elend auf der Bühne, sondern ich?“, muss sich Bernhard Schütz in dem neuen Stück von René Pollesch einmal fragen. Blöde Frage! Im Zweifel interessiert sich der Fließbandschreiber Pollesch weniger für den verelendeten Mittelstand und die neue Armut, sondern kreist wieder um das Elend der Darstellung. Der Regisseur Pollesch wiederum ahnt, dass es das nicht sein kann. Auch erprobte Akteure seiner Theaterfactory sind mittlerweile regelmäßig in TV-Krimis zu sehen.

„Erschossen?“ fragt Astrid Meyerfeldt mit gespieltem Entsetzen. Die Großaufnahme zeigt die TV-Krimi-kompatible Emotion eindeutig. Bei Pollesch sollen die Darsteller sich dann wieder ihre „bürgerliche Fresse“ und die Reste ihrer bürgerlichen Subjektivität wegspielen. Das ist nicht immer lustig, sondern manchmal auch harte Arbeit.

„Life is the new hard!“ gibt Pollesch nun als neue Durchhalteparole aus in „Notti senza cuore“ (wieder heute, 13., 21., 27.12., jeweils 20 Uhr im Prater der Berliner Volksbühne). Das soziale Kältetraining könnte zwar brutaler ausfallen. Aber die drei Schauspieler arbeiten wirklich hart daran, es Pornodarstellern gleichzutun. Also gucken sie immerfort in die Kamera – und was sie „hinten“ erleben, ist nicht so wichtig. „Authentisch und trotzdem nicht bei der Sache“ – das ist das Ziel. Doch verdammt, sie schaffen es nicht, emotionalen Gewinn aus der Entfremdung zu ziehen.

Und so bewegt sich der Abend in einer Abwärtsspirale. Die herzlosen drei werfen sich auf nackte Matratzen, greifen erst zu Plüschtieren und spielen dann soziales Elend. Erbarmungswürdig Mia Partecke als Nutte vom Drogenstrich, die grienend den Text zerdehnt. Ein Fall für die Fürsorge. Doch Bernhard Schütz, auf einmal der „Mann von der Volksfürsorge“, will nicht helfen. Dazu blinkt traurig ein Weihnachtsstern.

Die Theorieproduktion der Pollesch-Factory ist ins Stocken geraten, und auch die Akteure zeigen Ermüdungserscheinungen. Am Ende verlangen sie nach Stoff: Wodka und Gefühlsdrogen. Und zum Gianna-Nannini-Song „Notti senza cuore“ verdrücken sie eine authentisch unechte Träne.

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