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Kultur: Träume in Trümmern

Festival „Foreign Affairs“: Faustin Linyekula und seine Tanzperformance aus dem Kongo.

Von Sandra Luzina

Der kongolesische Schriftsteller Antoine Vumilia Muhindo saß im berüchtigten Makala-Gefängnis in Kinshasa, als der Choreograf Faustin Linyekula sein Stück „Dinozord“ kreierte. Das war 2006. Beim Festival „Foreign Affairs“ sitzt Vumilia nun am rechten Bühnenrand und tippt auf einer alten Schreibmaschine die Texte, die er damals im Knast geschrieben hat. Darin schildert er die grausamen Foltermethoden – und wie die Peiniger die Torturen der Gefangenen filmten. Nach zehn Jahren Gefängnis konnte der Dichter entkommen, heute lebt er als politischer Flüchtling in Schweden. Seine Präsenz und seine Geschichte verleihen dem Abend eine schmerzliche Intensität.

Linyekula hat die Flucht seines Kindheitsfreundes Vumilia zum Anlass genommen, sein damaliges Stück „Dinozord“ zu überarbeiten. „Sur les traces de Dinozord“ ist nun insbesondere eine Hommage an ihn. Doch der Abend ist zugleich dem Andenken an Kabako gewidmet, dem Freund, der 1997 bei einer Pestepidemie ums Leben kam. Auch er gehörte damals zu Faustins Clique, sie alle träumten davon, die Gesellschaft zu verändern und die afrikanische Literatur zu revolutionieren.

Die Performance ist eine Totenmesse für den verstorbenen Freund und hat zugleich etwas von einem afrikanischen Ritual. Der Countertenor Serge Kakudji singt zu Beginn einen Auszug aus Mozarts Requiem, doch es erklingen auch Orgelmusik, Choräle – und am Ende Jimi Hendrix. Eine wilde Collage aus Tanz, Text und Musik, in der sich die Erzählebenen ständig überlagern. Doch man spürt die Dringlichkeit, mit der die Beteiligten sich gegen das Vergessen stemmen. Und die Notwendigkeit dieser szenischen Trauerarbeit. Berichtet wird auch davon, wie Linyekula in das verwüstete Kinsangani, den Ort seiner Kindheit, zurückkehrte. Begleitet wurde er dabei von Sängern, Schauspielern und Tänzern, der Jüngste war Hip-Hopper Dinozord, der mit 16 Jahren zu Linyekulas Gruppe „Studios Kabako“ gestoßen ist. Er sei der Letzte seiner Art – so begründete Dinozord die Wahl seines Künstlernamens.

Jetzt in Berlin mutet dieser junge Tänzer wie ein Medium an, das die qualvollen Geschichten mit seinem zitternden und zuckenden Körper aufnimmt. Am Anfang wird er von Djodjo Kazadi verdreht und auf den Kopf gestellt. Doch statt sich in einen Headspin zu katapultieren, fällt er krachend zu Boden. Am Ende darf der Breakdancer dann richtig loslegen, in einem Solo zu „Voodoo Child“ von Jimi Hendrix.

Die sieben Darsteller schminken sich das Gesicht und die Hände weiß, die Tänzer bemalen sich auch die Körper. Mit kleinen Vibrationen des Beckens beginnen sie ihr Trauerritual, bis ein heftiges Schütteln die Körper ergreift. In einem roten Koffer sind die hinterlassenen Schriften von Kabako aufbewahrt. Linyekula umkreist später die über die Bühne verstreuten Manuskripte in einem bewegenden Solo, bis der Tanz abbricht.

In „Sur les traces de Dinozord“ entwirft der Choreograf das erschütternde Porträt einer Generation, die von Krieg und Terror geprägt ist und deren Träume in Trümmern liegen. Faustin Linyekula und seine Darsteller durchschreiten die Hölle der Erinnerungen. Mit seinem unermesslichen Schmerz und seiner maßlosen Wut ist dieser Abend kaum auszuhalten. Doch er mündet nicht in Resignation. Wie kann es eine Zukunft für uns geben, die wir uns auf den Ruinen bewegen? Das ist die Frage, die Linyekula in all seinen Stücken stellt. Woher nehmen wir die Kraft, weiterzumachen? Vumilia, das beweisen seine fesselnden Texte, ist immer noch ein Dichter, trotz der Schrecken, die er gesehen und durchlebt hat. Und Dinozord wird weitertanzen und weiterträumen.

Faustin Linyekula ist übrigens bald wieder in Berlin zu sehen. Beim „Tanz im August“ stellt er sein neues Stück „Drums and Digging“ vor. Sandra Luzina

noch einmal heute, 4. Juli, 20 Uhr, im Haus der Berliner Festspiele

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