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Kultur: Träume und andere Turbulenzen

Mit scharfem Blick: Sie nannte sich Dodo und zeichnete die Vorkriegs-Bohème. Eine Berliner Ausstellung rettet die Illustratorin vor dem Vergessen.

Sie war Teil der bürgerlichen Bohème-Gesellschaft Berlins in den zwanziger Jahren – und gleichzeitig deren kritische Beobachterin: Dodo, geboren als Dörte Clara Wolff, Zeichnerin und Grafikerin, über Jahrzehnte vergessen. Zu Unrecht, wie nun eine großartige Ausstellung in der Kunstbibliothek der Staatlichen Museen beweist. 120 Arbeiten erzählen nicht nur von einer mondänen Zeit im aufblühenden Berlin und der neuen Rolle der Frau zwischen Girlie und Garçonne, sondern auch vom wechselhaften Leben der Künstlerin, von persönlichen Krisen und Liebeskummer.

Die Hamburger Kunsthändlerin Renate Krümmer hatte die Gouache „Wedding auf dem Dachgarten“ zufällig in England entdeckt und erkannte sofort eine Berliner Kaffeehausszene. Doch wer war Dodo? Sie stieß auf die Familie, auf Tochter Anja, die Enkelin und den Nachlass der 1998 verstorbenen Künstlerin.

Geboren wurde Dodo 1907, als Kind einer großbürgerlichen, jüdischen Familie. Sie studierte an der renommierten Reimann-Schule in Schöneberg. Schon bald konnte sie von Illustrationen für Berliner Modehäuser leben, einige von ihnen sind auch in der Werkschau zu sehen. Höhepunkt des künstlerischen Schaffens sind jedoch Dodos Illustrationen für das Satireblatt „ULK“, eine wöchentlich erscheinende, farbige Beilage des „Berliner Tageblatts“. Heinrich Zille und Lyonel Feininger zeichneten ebenfalls für das Magazin, Kurt Tucholsky war eine Zeit lang Chefredakteur.

Dodos Karikaturen drehten sich vor allem um die blasierte Amüsiersucht zwischen Theater, Café und Urlaub in den Bergen, sowie um das Verhältnis zwischen den Geschlechtern. All das kannte sie, die nächtlichen Abenteuer, die wechselnden Liebhaber, die finanzielle Unabhängigkeit als junge Frau. Dodos Damen sind selbstsichere, schlanke Wesen, die mit einem verschatteten Blick und Augenlidern auf Halbmast die Welt wahrnehmen, während die Männer häufig als balzende, alternde Gockel auftreten.

Eine Frau mit scharf geschnittenen Gesichtszügen und pomadeglänzendem Haar stützt sich gelangweilt auf die Balustrade des Theaterbalkons, der Mann hinter ihr verfolgt gebannt das Geschehen auf der Bühne. Auf einem anderen Blatt verfolgen mehrere Frauen sichtlich unbeeindruckt die stolzen Drehungen eines jungen Eiskunstläufers. Im Hintergrund ist ein großes Kurhotel zu sehen. Dodo beobachtete scharf, ihre Zeichnungen zwischen Jugendstil und Neuer Sachlichkeit sind pointiert erzählerisch, der Einsatz von Farben kontrastreich, sie lässt Grün und Rot aneinanderstoßen, staffelt Grau- und Rottöne. Die Formen sind grafisch klar, der Strich ist selbstbewusst.

Mit 22 Jahren beschließt Dodo, den mehr als doppelt so alten Anwalt Hans Bürger zu heiraten – sie macht ihm einen Antrag –, und ändert ihren Lebensstil radikal. Sie wohnt nun im gesetzten Westend und bekommt zwei Kinder. Doch schon bald langweilt sie dieser Alltag. Dodo verliebt sich in den Psychoanalytiker Gerhard Adler, sie geht eine Dreiecksbeziehung mit beiden Männern ein. Welche Zerrissenheit zwischen Ehefrau und Geliebter und welch quälende Schuldgefühle sie dabei durchlitt, zeigen eindrucksvoll ihre sogenannten „Unbewussten Traumbilder“, die im Ausstellungskapitel „Private Turbulenzen“ präsentiert werden. Da tauchen Engel auf und Sünderinnen, Mütter mit Babys, der Himmel leuchtet, dem weiblichen Schoß entschlüpfen Fische, die Brustwarzen werden zu Stacheln.

Zur Zeit des Nazi-Terrors musste die Jüdin Deutschland verlassen, doch ihre Karriere kann sie in ihrer neuen Heimat London nicht fortsetzen. Es entstehen lediglich kleine Werbeanzeigen für Schokolade und Grußkarten; ansonsten zeichnet sie privat weiter, fertigt Stillleben vom Marmeladeeinkochen an und entwirft Stickbilder. Kaum zu glauben, dass dahinter dieselbe Frau steckt.

Kunstbibliothek am Kulturforum, bis 28. Mai, Di-Fr 10-18 Uhr, Sa/So 11-18 Uhr

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