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Kultur: Träumen und räumen

Beat Furrers leiser gedämpfter Gang in die Wüste verlangt Konzentration. Vielfach sind es nur einzelne Töne und Geräuschpartikel, die erforscht werden.

Beat Furrers leiser gedämpfter Gang in die Wüste verlangt Konzentration. Vielfach sind es nur einzelne Töne und Geräuschpartikel, die erforscht werden. Die Instrumentalisten des Klangforums Wien haben oft lange auf ihren Einsatz zu warten – und so ertappt der Zuschauer auch bald eine junge Flötistin, die sich ein Nickerchen gönnt. Kein Einzelfall. Im Laufe des Abends fallen auch ihren Kollegen immer wieder die Augen zu, angelehnt an die Instrumente versinken sie malerisch in Schlummer. Was auffällt, weil das vom Komponisten dirigierte Orchester bei der Uraufführung von Furrers neuestem Musiktheater „Wüstenbuch“ in Basel gut sichtbar vor der Bühne sitzt.

Bleierne Müdigkeit als Zustand hellwacher Anspannung: Dieses Paradox bestimmt die Vertonung des altägyptischen Papyrus 3024, die ab Freitag beim Berliner „Märzmusik“-Festival gezeigt wird: Ich und Seele, Tod und Leben stehen in einem flirrenden dämmernden Zwischenreich einander gegenüber. „Der Tod steht heute vor mir, wie das Abziehen des Regens oder wie wenn ein Mann von einem Feldzug heimkehrt.“ Über einem Konglomerat verschiedenster Texte baut sich Furrers „Wüstenbuch“ auf, ohne in eine Handlung zu münden. Texte von Ingeborg Bachmann, vor allem aus „Todesarten“ und eigens für den Abend geschriebene Gedichte des österreichischen Schriftstellers Händel Klaus, die den Papyrus 3024 weiterspinnen, stehen neben lateinischen Passagen von Apuleius und Lukrez. Worte werden geflüstert, gesungen, geklagt, gemurmelt; das meiste bleibt allerdings unverständlich. Und doch ist wie bei vielem, das man im Halbschlaf registriert, die Nachwirkung umso tiefer.

Duri Bischoffs Bühne zeigt ein abgewohntes Hotel. In einem Zimmer fehlt bereits der Ventilator, die Waschbecken sind abmontiert. Die staubigen Zimmerpflanzen, der Sand, der beim Ausziehen aus den Schuhen rinnt, mögen an Ägypten erinnern, doch die Wüste ist nicht Theaterfolklore, sondern Metapher. „Ich rauche die letzte Zigarette“ wird gegen Ende ein Text Ingeborg Bachmanns gesprochen.

Diese letzte Zigarette war zuvor wie ein Leitmotiv immer wieder angezündet worden und sogleich brennend zu Boden gefallen; ein Fetzen historischer Realität schimmert dabei durch: Bachmanns Tod in Rom. Die von Christoph Marthaler choreographierten Rituale der Hotelbesucher und des Personals strukturieren den Abend eindringlich: Es sind Rituale des Fremdseins, der Entfernung von Ich und Seele, Eingänge in Zwischenreiche.

Über die Überfülle an Gesten, Gruppierungen und Distanzierungen der Figuren in Marthalers Wartesaal ließe sich lange erzählen. Doch kann man ebenso auch die Augen schließen – denn Beat Furrers Musik entfaltet unabhängig von Verständlichkeit und Sichtbarkeit seines Musiktheaters ihren geradezu unheimlichen Sog. Wenn die Sopranistin Hélène Fauchère in Dialog mit dem Kontrabass tritt, könnte der Schauder, der den Zuhörer packt, nicht größer sein als in den Glücksmomenten der großen, traditionellen Oper. Bernhard Doppler

Aufführungen am 26., 27. und 28. März in der Schaubühne am Lehniner Platz

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