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Neugeborene Avantare: Still aus einem Video von Stine Deja.

© Jacob Friis Holm Nielsen

Transmediale-Ausstellung in der Akademie der Künste: Wie lebt es sich in der Daten-Hölle?

Überwachung, Geldgier, Unterdrückung: Die Transmediale weist in ihrer neuen Ausgabe auf die Schäden der Digitalisierung hin.

„Doomscrolling“, das ist sicher vielen schon passiert in zwei Pandemiejahren. Man surft von einer schlechten Nachricht zur nächsten und kann gar nicht mehr aufhören. Gerade in neuen und angsteinflößenden Situationen wie der Pandemie, versucht man die Kontrolle zu behalten, indem man sich exzessiv online informiert. So verliert man sich leicht in der Unheilsspirale, und das macht eher depressiv als dass es hilft. Erster Schritt ist, sich dessen bewusst zu werden, zweiter Schritt, es zu lassen, und wenn man nicht komplett aufhören kann, dann wenigstens die Frequenz ändern.

Um Möglichkeiten der Technik-Verweigerung geht es bei der Transmediale 21/22. Die seit vergangenem Jahr tätige künstlerische Leiterin Nora O’Murchú hat Berlins Festival für digitale Kultur das Motto „For Refusal“ verordnet. Das ganze Jahr über gab es Ausstellungen, Performance-Nächte, ein Sommercamp.

Der Realität ins Auge sehen

Verweigerung kann darin bestehen, einfach einen Adblocker zu installieren. Oder man schaut sich intensiv an, inwieweit wir heute Algorithmen und digitalen Logiken überhaupt noch etwas entgegensetzen können. So geschieht es nun im letzten Teil der Transmediale- Einjahres-Variante, in einer Ausstellung in der Akademie der Künste und einem zweitägigen Symposium im Haus der Kulturen der Welt. Beide sind prägnant, wie man es inzwischen von Nora O’Murchú kennt. Es sind Werke von nur neun Künstler:innen und Kollektiven zu sehen und weniger Sprecher eingeladen. Und die Message in der neuen Schau ist noch eindeutiger als in der vorherigen Ausgabe.

„Gebt alle Hoffnung auf, die ihr hier eintretet“ lautet der Titel der Schau, sinngemäß auf Deutsch übersetzt. Es hat bei der Transmediale Tradition, dass die Überschriften das aktuelle Verhältnis zur digitalen Technik beschreiben. Das war lange Euphorie, dann Spieltrieb, dann Widersprüchlichkeit, jetzt ist es Desillusionierung.

Die digitale Technik bringt Annehmlichkeiten, Freiheiten, unendlich viele neue Möglichkeiten. Dagegen stehen Ausbeutung, Überwachung, Atomisierung von Gesellschaften und das Fortbestehen kolonialer Denkmuster. In der Ausstellung stehen dieses Mal die Schäden und das Toxische der Technologie im Vordergrund. Willkommen im letzten Höllenkreis.

Chaos, Kälte, Lärm

Dantes „Inferno“ stand Pate, so erzählt es Nora O’Murchú beim Rundgang. Einige der Arbeiten verbreiten einen ohrenbetäubenden Lärm, etwa Tianzhou Chens Videoarbeit „The Dust“. Eine große Installation zeigt auf drei Screens tibetische Landschaften, Tiere, lebendig und ausgestopft, Schreine und Grabsteine, dazu erklingen rituelle Instrumente und Mönchsgesänge, zwischendurch blendet ein gleißendes Licht.

Tianzhou Chen, der in Peking lebt und in seinen Filmen und Performances Clubkultur und Spiritualität verbindet, skizziert hier ein Zwischenreich, eine Phase zwischen Tod und Wiedergeburt. Es geht hier weniger um die einzelnen Bilder, wichtiger ist das zwiespältige Gefühl, das sich einstellt, eine Art sehnsuchtsvolle Hoffnungslosigkeit.

„Entanglement“ der Künstlergruppe Annex war bereits auf der Architektur-Biennale in Venedig 2021 zu sehen.
„Entanglement“ der Künstlergruppe Annex war bereits auf der Architektur-Biennale in Venedig 2021 zu sehen.

© Transmediale, Annex

Die außer Kontrolle geratene Technik, die in ihrer Maßlosigkeit bereits auf Autopilot fährt, und der Mensch, der nur noch als Avatar vorkommt, ist auch in anderen Arbeiten die Ausgangsbasis. Im Zentrum der Schau steht ein Techno-Turm aus Kabeln, Serverschränken, Bildschirmen und Ventilatoren mit eckigen Sitzgelegenheiten drumherum. Das Datenzentrum als Lagerfeuer.

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Menschliche Bedürfnisse werden zu Suchanfragen, soziale Beziehungen, übers Internet organisiert, bedürfen einer immens aufwändigen Infrastruktur. Konkret bezieht sich die Arbeit des Künstlerkollektivs Annex auf einen Ort in Irland, wo 1857 das erste Transatlantikkabel an Land gezogen wurde. Jeder Hocker um dieses gruselige und eiskalte Lagerfeuer herum hat einen Kabelweg quasi auf die Sitzfläche tätowiert, die sich kühl und metallisch anfühlt.

[Ausstellung bis 18. 2., Akademie der Künste, Hanseatenweg 10 / Symposium im Haus der Kulturen der Welt, 28./ 29. 1. findet ausschließlich als Livestream statt: www.transmediale.de. Ausnahme: die „Closing Keynote“ mit Byung-Chul Han am 29. 1, 20.30 Uhr. Tickets hier.]

Was anfangen mit den technoiden Höllenszenarien?

Es wird nicht angenehmer, wenn man sich der Installation der Lo-Def Film Factory nähert, die sich mittels einer Technoschrottskulptur und drei Screens dem Ressourcenabbau in Afrika zuwendet. Welche Rolle spielte der Kongo bei der Entwicklung der ersten Atombombe, lautet die Ausgangsfrage.

Und von dort wird mit Tonaufnahmen und handgeschriebenen Diagrammen erklärt, wie Uran in der Shinkolobwe Mine im ehemaligen Belgisch-Kongo abgebaut wurde und wie sich der Abbau, die Verarbeitung und die Vermarktung von Rohstoffen, im Laufe der Jahrzehnte verändert und eigentlich nur verschlimmert hat. Lag das Wissen zur Veredelung von Gold, Kupfer, Kobalt einst in den Händen der indigenen Bevölkerung (und dort in der Verantwortung weniger Auserwählter) liegt die ganze Macht heute bei Konzernen, die verborgen in zahlreichen Untergesellschaften in der Region aktiv sind. Der Kongo ist Ressourcenquelle, und muss die veredelten Rohstoffe dann teuer wieder reimportieren.

Also, wie kommen wir da raus? Gibt es einen Weg zurück? Was könnte „Refusal“ in einer computer- und datengesteuerten, kommodifizierten Welt überhaupt noch bewirken? Wir erinnern uns: Erstmal feststellen, was ist, dann Verhalten ändern. Diesen ersten Schritt geht die Ausstellung ziemlich elegant: Sie kartografiert die Schäden.

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