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Transmediale: Galaxie Glück

Irre: Der Berliner Gitarrist und Elektronikpionier Manuel Göttsching gibt im Haus der Kulturen der Welt ein fantastisches Transmediale-Konzert, bei dem er von der legendären Joshua Light Show begleitet wird.

Schon an sich eine bewusstseinserweiternde Erfahrung, wenn man sich dem muschelähnlichen Gebäude nähert, dessen Dachkonstruktion am 21. März 1980 einstürzte, ein paar Monate, nachdem dort im Rahmen einer Modenschau ein Musiker aufgetreten ist, der 32 Jahre später erneut mit seinem Raumschiff im Haus der Kulturen der Welt andockt. Manuel Göttsching heißt der kosmische Kurier aus Berlin, der 1970 Ash Ra Tempel gründete und auf seiner langen Reise durch Spiralnebel-Sound-Galaxien einige der stärksten Momente drogenumnebelter Rockmusik eingefangen hat, unter anderem mit LSD-Papst Timothy Leary. Da drängt sich eine Zusammenarbeit mit der legendären Joshua Light Show förmlich auf, einer Künstlergruppe, die schon in grauer Vorzeit die Besucher von Jimi-Hendrix- oder Greatful-Dead-Konzerten mit psychedelischen Bildern beflackerte und vor drei Jahren in New York eine Aufführung von Göttschings epochalem Meisterwerk „E2-E4“ begleitete, mit dem der Ashra-Tempelbruder zum Stammvater der Technogemeinde wurde.

Der Auftritt bei der Transmediale beginnt mit technoiden Stampfrhythmen und elektronischen Tonsignalen, die wie kreischende Möwen von der Decke prasseln. „Big Birds“ heißt das Stück, das eben dazu führte, dass sich bis heute das Gerücht hält, Göttsching sei am Einsturz der ehemaligen Kongresshalle nicht ganz unschuldig gewesen. Es folgt „Dream & Desire“ von 1977, und die Musik verfällt in ein leises, Hall gewordenes Zirpen, wie von einem Heiligenschein geküsst. Hypnotischer Rhythmus, meditative Klangströme, eng verwobene Melodien, deren Verzahnung die Musik in einen Schwebezustand versetzen, der sie endlos erscheinen lässt.

Ambient? Trance? Musik wie ein Acidtrip? Womöglich. Auf jeden Fall verliert das Rockidiom die letzte körperlich fassbare Gestalt, wenn sich der 60-jährige Krautrockpionier zunächst über seinen Laptop beugt, dann ans Keyboard setzt und schließlich die E-Gitarre umschnallt. Dabei scheint er tief in sich hineinzulauschen, um die innere Musik dann wieder so zu entlassen, dass am Ende fast so etwas wie ein Hauch Glückseligkeit entsteht, jedenfalls eine Musik, die weit entfernt ist von jedem oberflächlichen New-Age-Meditationsquatsch.

Außerdem ist der Mann ein begnadeter Gitarrengniedler, dem man endlos zuhören könnte. Wie er über den schwebenden Wohlklang hüpft, sanft hinweggetragen von einer pulsierenden Klopfmotorik, die wie eine Dampfwalze auf Raumflug durch den Saal schwirrt, während dazu die Lichtprojektionen der Joshua Light Show in gewaltiger Größe über die Leinwand flimmern: ölige Schlieren und kleine Farbexplosionen, die mit analoger Vintagetechnik erzeugt werden. 100 Minuten dauert der psychedelische Zauber. Danach ist man nicht mehr in der gleichen Welt wie vorher. Aber das merkt man erst später, wenn man aus dem Traum erwacht ist, in den man elektronisch gepustet wurde. Ich war noch nie auf einem besseren Konzert.

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