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Kultur: Trash und Tristesse

Das Festival Internationale Neue Dramatik in der Schaubühne

Die gute Nachricht zuerst: George W. Bush glaubt an die friedliche Koexistenz. Er will nicht jeden Konflikt nur mit Hilfe von smarten Bomben, Flugzeugträgern und Spezialeinheiten lösen. „Ich bin davon überzeugt,“ sagt George W. Bush, „dass Fische und Menschen friedlich koexistieren können.“ Die schlechte Nachricht ist, dass auch solche in ein Ehebruchs-, Sinnkrisen- und Beziehungsdrama einmontierte Bush-Zitate aus einem schlechtem Theaterstück kein gutes machen. „Homewrecker“, ein Zeitstück der Amerikanerin Kelly Stuart, dürfte eine der eher überflüssigen Entdeckungen des Festivals Internationaler Neuer Dramatik („F.I.N.D.") sein, mit dem die Schaubühne zum dritten Mal Gegenwartsdramatik in szenischen Lesungen und Gastspielen vorstellt. „Es wird immer schwerer, gute Theaterstücke zu entdecken“, sagt Jens Hillje, Chefdramaturg der Schaubühne. „Uns reicht der Realismus nicht mehr. Im Augenblick geht es eher darum, ihn mit neuen theatralischen Formen aufzusprengen.“

Eine dieser anti-realistischen Formen ist der Trash, die Kombination des guten alten Wellmade-Plays mit Pulp Fiction, TV-Soaps und Vorstadt-Tristesse, wie sie George F. Walker in seiner Dramenserie „Suburban Motel 1 - 6“ präsentiert, sechs kurze Stücke, die alle in einer Absteige spielen. In Kanada wurde er damit zu einem der meistgespielten Gegenwartsautoren, die Schaubühne stellt ihn nun in Deutschland vor. Der Charme dieser Festival-Erstaufführungen liegt vor allem im Improvisierten: Die Schauspieler brüllen sich ihre Dialoge mit Textzetteln in der Hand zu und genießen frei von Scham das gutgelaunte Schmierantentum. Und so will man danach Walkers Minidramen kaum mehr in subtil ausgefeilten Aufführungen kennenlernen: Gegen die Schnell-und-Dreckig-Ästhetik solcher Knaller käme sauberes Stadttheater niemals an. Was hier allerdings auch an den etwas platten Scherzen Walkers liegt.

Komplizierter und intelligenter bringt Falk Richter in „Electronic City" die Gegenwart zur Explosion: Zwei Angehörige des weltweit jobbenden Business-Proletariats, verloren in uniformen Hotels, Flughafenterminals und Fast-Food-Shops, entdecken ein Gefühl, das bisher in ihrem vom Hotelketten-Pornokanal befriedigten Intimleben nicht vorkam: Sie verlieben sich. Richters Stück lebt von präzise beobachteten Details, es ist ein einziger Aufruf an Globalisierungs-Manager, sich entweder sofort zu verlieben und ihren Job hinzuwerfen oder sich in einer Lobby zu erschießen. Richter gelingt das Kunststück, zynisch, nüchtern und mit Resten von Romantik das trostlose Leben der Funktionseliten zu sezieren.

Nicht nur der Realismus wird in den besten Momenten des Festivals in die Luft gejagt, beim Gastspiel des La Carniceria Teatro aus Madrid erwischt es auch einen Truthahn. Sorgfältig stopft ein kleiner Junge die Sprengladung in das tote Geflügel, und kurz darauf fliegt dem Zuschauer nicht nur das alte Theater, sondern auch rohes Geflügelfleisch um die Ohren. Neue Dramatik muss knallen! In Rodrigo Garcias Stück „Ich habe einen Spaten bei Ikea gekauft, um mein Grab zu schaufeln“ knallt es besonders laut. Vor der Truthahn-Explosion werden die Konzerne beleidigt, linke Kitsch-Ikonen von Che Guevara bis John Lennon verhöhnt und die Zuschauer aufgefordert, ihr langweiliges Leben neu zu erfinden. Zur Kritik an der Konsumgesellschaft gehört, dass die Schauspieler sich Würstchen, Essiggurken und Tiefkühlgemüse in ihre unteren Körperöffnungen stopften. Nimm das, Supermarkt!

Das Gastspiel der gefeierten Gruppe Hollandia („De Metsiers“) war daneben von einer gewissen Biederkeit. Wunderbare Schauspieler verwandelten sich in dumpfe Bauern. In szenisch gelesenen Stücken wurde des weiteren Haschisch angebaut (David Gieselmanns „Plantage“), man konnte Engeln begegnen („Engel“ des Isländers Havar Sigurjinson), Hamlet banalisieren („Amlett“ von Jan Decorte) oder mit Peter Verhelst ins „Märchenbordell“ gehen.

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