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Kultur: Trauer und Wut

FERNSEHZIMMER kurt Scheel spielt zwei Dokumentarfilme gegeneinander aus Das erste Mal habe ich ihn im Kino gesehen, und nun also im TV: „Black Box BRD“ von Andres Veiel. Und was soll ich sagen: war wieder prima.

FERNSEHZIMMER

kurt Scheel spielt zwei Dokumentarfilme gegeneinander aus

Das erste Mal habe ich ihn im Kino gesehen, und nun also im TV: „Black Box BRD“ von Andres Veiel. Und was soll ich sagen: war wieder prima. Wobei prima das falsche Wort ist: Die ganze Trauer über den RAF-Quatsch kam zurück. Aber es war eben Trauer, nicht mehr Wut über diese durchgeknallten Desperados und das Unheil, das sie angerichtet haben.

Veiels Dokumentarfilm handelt von zwei Toten: Alfred Herrhausen, dem Vorsitzenden der Deutschen Bank, 1989 ermordet durch eine Bombe, die ihn in seinem Auto zerfetzte; Wolfgang Grams, 1993 zu Tode gekommen bei der Festnahme auf dem Bahnhof von Bad Kleinen, und es ist strittig, ob er sich selbst oder ein Polizist ihn erschossen hat. Ungeklärt ist auch, ab Grams, zur „dritten Generation“ der RAF zählend, an der Ermordung Herrhausens beteiligt war. Was waren das für Menschen? Veiel befragt Angehörige und Freunde, zeigt private Fotos und Schmalfilmaufnahmen, Clips aus Fernsehberichten und Nachrichtensendungen. Und immer wieder rasen drei Limousinen durchs Bild – das einzige Actionelement; ich hatte es vergessen, auch dass häufig Musik unterlegt ist: In der Erinnerung war die Dokumentation leiser, sozusagen schwarz-weiß und essayistisch.

Bloßstellen kann sich jeder selbst

Aber richtig erinnerte ich, dass Veiel auf einen allwissenden Kommentator verzichtet, kein anklägerischer Durchblicker gibt uns vor, was wir zu denken haben. Man hört ihn nicht einmal seine Fragen stellen: Er lässt die anderen sprechen, und das macht er großartig. Wobei die Befragten sich natürlich um Kopf und Kragen reden könnten, was sie aber nicht tun, mit einer Ausnahme: Ein Freund von Grams, der von sich selbst sagt, er sei zu feige für den bewaffneten Kampf gewesen, hängt mit dümmlichem Stolz ein Laken mit „Venceremos“-Sprüchen an seine Kleingartenlaube; eine widerliche Mischung aus Spießigkeit und Fanatismus.

Aber alle anderen Befragten sind sympathisch, auch wenn man sie nicht unbedingt mag oder ihnen nicht zustimmt. Der Vater von Grams , dessen kleinbürgerliche Jovialität die nette Form der Verleugnung ist: Selbst ihn möchte man am Ende des Films trösten. Die Heldin aber ist Traudl Herrhausen. Was sie sagt, wie sie es sagt: Man muss schon sehr verstockt sein, um nicht angerührt zu werden, Mitleid zu empfinden. Was damals im Kino übrigens der Fall war: Ein Teil des Publikums reagierte mit reflexhaftem Hohn auf jeden Satz von ihr. Für diese Leute war Herrhausen eben der Frontmann des Schweinesystems gewesen, dem letztlich recht geschah, und seine Witwe war eine Charaktermaske, auf deren sentimentales Gerede sie nicht hereinfielen.

Wir sprechen über einen Film! Und mittlerweile weiß fast jeder, dass er kein Abbild von Realität ist, sondern deren Inszenierung und eine eigene Form von Realität schafft. Und insofern kann die Frage nach der Authentizität immer gestellt und, naturgemäß, unterschiedlich beantwortet werden. Ist Traudl Herrhausen in diesem Film authentisch und anrührend, oder nur eine selbstverblendete Charaktermaske? Seine Sichtweise kann man nicht beweisen, nur bezeugen.

Fertigmachen, was nicht passt

Dass „Bowling for Columbine“ ein miserabler Film ist, könnte man beweisen, aber ich will es nur bezeugen. Als Premiere-Abonnent hatte ich das Privileg, diesen allererfolgreichsten Dokumentarfilm seit „Triumph des Willens“ im Fernsehen anzuschauen, was mir nicht leicht gefallen ist. Michael Moore erscheint wenig anziehend: ein Fettsack, der körperlich und intellektuell verwahrlost wirkt. Schlimmer noch ist die bräsige Selbstgewissheit, mit der er seine schlichten Ansichten in Szene setzt. Moore weiß Bescheid, er kann die Guten von den Bösen prima unterscheiden. Moore macht Agitprop. Er ist ein Ideologe, von Zweifeln unberührt und macht fertig, was ihm nicht in sein Weltbild passt. Er gibt den Menschen, die er interviewt, die er vorführt, keine Chance, und es ist fast gleich abstoßend, ob er sie verhöhnt oder als Zeugen für seine trivialen Ansichten benutzt.

Mehrfach kommt er darauf zurück, dass das Massaker an der Columbine Highschool am selben Tag stattfand wie die umfangreichste Bombardierung durch die Amerikaner im Kosovokrieg; suggeriert wird damit ein Zusammenhang – welcher das sein sollte, bleibt unerfindlich: eben Verschwörungsdenken, dass Dütt und Datt schon irgendwie miteinander zusammenhängen. Wer unter meinen Lesern Moores Film mag, dem aber sage ich: Wahrlich, nie kannst du mein Freund werden.

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