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Kultur: Trauerflower

Wieder im Kino: „Blutige Erdbeeren“, ein Film von 1968

Ein barbusiges Hippiemädchen, ein Peace-Zeichen aus Reißzwecken, ein Pop-Art-Plakat und ein Porträt Robert Kennedys – die Wände der Studentenbude verraten viel über ihren Bewohner: Simon möchte liberal, sexuell befreit und kulturell interessiert erscheinen. Gegen den Vietnamkrieg ist 1968 ohnehin jeder in San Francisco. Sogar Simons Kameraden aus der Uni-Rudermannschaft. Als seine Kommilitonen schon längst auf dem Uni-Campus „Streik“ skandieren, sitzt Simon immer noch im Vierer, und der Steuermann brüllt „Strike“. Während die Studenten auf dem Campus die Fäuste recken, senkt Simon sein Ruderblatt ins Wasser. Hätte Simon nicht Linda getroffen, die für Che Guevara schwärmt und zur Verpflegungstruppe der streikenden Studenten gehört, wäre er wohl beim Rudern geblieben. Mit Linda erscheinen die Alternativen plötzlich sehr attraktiv: Politik, Pop – und natürlich Sex.

Simon besetzt mit anderen das Büro des Unipräsidenten, besorgt Lebensmittel bei einem sympathisierenden Händler, repariert einen Kopierer und diskutiert seine Beziehung. Bis die Nationalgarde mit Reizgas und Gummiknüppeln den Campus stürmt. „Blutige Erdbeeren“ ist ein wilder, fröhlicher, beinahe anarchischer Film, der die Aufbruchsstimmung der Sechzigerjahre ins Bild setzt. Die Kamera ist ständig in Bewegung, hastet mit Simon durch San Franciscos abschüssige Straßen, hüpft über Zäune und sitzt mit ihm im Boot. Die Stadt erscheint als mythischer Ort, wie ihn Jack Kerouac beschrieben und Scott MacKenzie besungen hat. Sonnenuntergang über Golden Gate und gusseiserne Zäune um gepflegte Rasenflächen, auf denen Hippies Sit-ins veranstalten. Musikanten im Park, spontane Ausbrüche von Lebensfreude allenthalben, die der martialische Aufmarsch der Spezialeinheiten konterkariert.

Die Musik von Joni Mitchell, Crosby, Stills, Nash & Young und John Lennon gibt den immer rasanteren Schnittrhythmus vor, der in einem Bildersturz aus Schwarz und Bunt eskaliert. Dazwischen wechseln wilde Parallelmontagen mit subjektiven Perspektiven ab – so ragen Köpfe plötzlich seitlich ins Bild, wenn Simon im Trainingszentrum Gewichte stemmt. „Blutige Erdbeeren“, der jetzt noch einmal ins Kino kommt, ist eine Fiktion, aber auch ein eindringliches Pop-Dokument. Schade, dass Regisseur Stuart Hagmann, der 1970 dafür immerhin den Preis der Jury in Cannes gewann, bald darauf in der Versenkung verschwand.

„Blutige Erdbeeren“ läuft im Filmtheater am Friedrichshain.

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