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Kultur: Traurige Tage in Turku

Mehr als ein Krimi: Jan Costin Wagners neuer Kimmo-Joentaa-Roman

Wenn man auf die Homepage des Schriftstellers Jan Costin Wagner geht, gibt es einen Link, der „Musik“ heißt. Dort findet man drei Lieder, die Wagner, zum Teil mit Gitarren- und Pianounterstützung und mit einer erstaunlich schönen Stimme singt. Die Songs tragen Titel wie „Rain“ oder „Moon“; sie sind melancholisch, beinahe elegisch. Eine ganze CD hat Wagner mittlerweile aufgenommen. Auf seinen Lesungen setzt er sich hin und wieder ans Klavier und spielt. Jetzt wisse er endlich, sagt er, welche Musik Kimmo Joentaa gerne hören würde. Und schon ist man mitten in Jan Costin Wagners Büchern, die man nur mit schlechtem Gewissen als Krimis bezeichnen mag. Sicher, Joentaa, der Protagonist von mittlerweile vier Romanen, ist Kriminalkommissar aus dem finnischen Turku. Und ja, es gibt auch stets einen Fall, den es zu lösen gilt. Und doch sind Wagners Bücher von einer reißerischen Plotebene so weit entfernt wie ein finnischer Wintertag von einer ausgelassenen Strandparty.

„Das Licht in einem dunklen Haus“ heißt Wagners neuer Kimmo-Joentaa-Roman. Man ist, auch wegen der skandinavischen Verwandtschaft, stets geneigt, eine Parallele zu Henning Mankells Wallander-Büchern zu ziehen, doch auch damit liegt man falsch. Denn Wagner ist kein Moralist in einem sozialen Sinne; die Verbrechen, die bei ihm begangen werden, verweisen nicht auf gesellschaftliche Missstände, sondern auf individuelle Verletzungen. Heil ist hier niemand, auch und erst recht nicht Joentaa selbst. Der trauert – noch immer – um seine an Krebs gestorbene Ehefrau Sanna, hat aber in „Das Licht in einem dunklen Haus“ erstmals wieder eine Frau in sein Leben gelassen. Die nennt sich Larissa, kann gut Eishockey spielen und ist eine Prostituierte. Das stellt sich ausgerechnet auf einem Fest von Joentaas Chef heraus, wo Larissa peinlicherweise auf alte Bekannte trifft. Kurz darauf verschwindet sie.

Ein Kriminalfall ist das nicht, aber einer, der den Kommissar nachhaltig beschäftigt. Parallel dazu wird er mit der Aufklärung eines rätselhaften Mordfalls konfrontiert – mit einem Mord an einer unbekannten Frau, die nach einem Unfall im Krankenhaus von Turku im Koma lag und ohnehin gestorben wäre. Auf dem Betttuch der Toten finden sich Tränenspuren des Mörders. In Tagebucheinträgen, die auf das Jahr 1985 dotiert sind, leuchtet der Roman nach und nach die Hintergründe des Verbrechens und der darauf folgenden, auf den ersten Blick in keinem Zusammenhang stehenden Morde aus. Es geht um eine Gewalttat und deren unfreiwillige Zeugen, es geht um Rache und um ein Trauma. Doch das Whodunit ist letztendlich so nebensächlich, dass man kaum bemerkt, dass die tatsächliche Auflösung (die gibt es immerhin!) ein wenig wirr ist. Das Einnehmende, das Überzeugende, ja das Packende an diesem Roman ist einerseits sein Tonfall und andererseits das Verhältnis, in dem der Erzähler zu seinen Figuren steht. Es ist eine Mischung aus kühl distanzierter Betrachtung und echter Anteilnahme, in der beides doch sorgsam voneinander getrennt bleibt. Es scheint, als schauten sich die Menschen selbst beim Traurigsein zu und seien doch unfähig, etwas dagegen zu unternehmen.

Jan Costin Wagner hat mittlerweile zu einer Form des Erzählens gefunden, die nichts Larmoyantes hat und nichts Pathetisches; einen ästhetischen Ansatz in dem Landschaft (Wagner verbringt seit langem mehrere Monate des Jahres in Finnland) und Mentalität sich auf unaufdringliche Weise bespiegeln. Und er ist noch dazu ein Autor, der prägnante Sätze schreiben kann, allen voran die ersten in „Das Licht in einem dunklen Haus“: „Kimmo Joentaa lebte mit einer Frau ohne Namen in einem Herbst ohne Regen. Das Hoch wurde auf Magdalena getauft. Die Frau ließ sich Larissa nennen. Sie kam und ging. Er wusste nicht, woher und wohin.“

Abgesehen davon, dass das elegant formuliert ist, wird man erst im Nachhinein bemerken, wie viel damit bereits erzählt ist. Das Kommen, das Gehen und die Leere, die damit verbunden ist. Letztere ist als Gegner präsent. Er schreibe, so sagt es Wagner, auf die Momente hin, in denen das Leben die Oberhand über den Tod gewinne. Und dass er versuche, die schlimmstmögliche Ausgangsposition zu finden, um die kurzen Momente des Glücks greifbar zu machen. Dafür bedarf es einer technischen Disziplin und einer freiwilligen Verknappung der erzählerischen Mittel. Zwei Übungen, in denen Jan Costin Wagner sich von Roman zu Roman weiter perfektioniert.

Jan Costin Wagner: Das Licht in einem dunklen Haus. Roman. Galiani Verlag, Berlin 2011. 312 S., 19,99 €.

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