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Kultur: "Tristan und Isolde" in London: Ewig webender Wohlklang

Mit langen Roben kann es durchaus schon mal Schwierigkeiten geben auf den Rolltreppen der Königlichen Oper Covent Garden. Also waltet Vorsicht bei den Damen der gehobenen Gesellschaft auf dem Weg zum Olymp, den gar nicht billigen Plätzen "ganz hinten, ganz oben".

Mit langen Roben kann es durchaus schon mal Schwierigkeiten geben auf den Rolltreppen der Königlichen Oper Covent Garden. Also waltet Vorsicht bei den Damen der gehobenen Gesellschaft auf dem Weg zum Olymp, den gar nicht billigen Plätzen "ganz hinten, ganz oben". Auf diesen Abend haben die Londoner Opernfans lange gewartet: Die erste Aufführung von "Tristan und Isolde" seit fast zwanzig Jahren. Diesmal nicht in einer humoristischen Werksicht wie beim originellen "Ring" von Richard Jones und Nigel Lowery, sondern richtig konventionell von Herbert Wernicke arrangiert. Da freut sich der Alt-Wagnerianer schon im Voraus.

Diese Hochstimmung sollte jedoch nicht lange anhalten. Nach dem dritten Aufzug musste Wernicke selbst vom zurückhaltenden englischen Publikum kräftige Buhs einstecken. Von links schiebt sich eine große rote Kiste ins Bild, das ist Isoldes Welt. Der blaue Kasten rechts beherbergt Tristan. Hier werden sich die beiden Liebenden nun vier Stunden lang nicht treffen. Was Ruth Berghaus in Hamburg und Heiner Müller in Bayreuth recht war, soll nun auch Herbert Wernicke in London billig sein: Liebe ist auf dieser Welt eben nicht möglich.

Wer sich als Regisseur jedoch entschließt, einem Bühnenwerk die Kernthese zu rauben, der sollte sich gut überlegen, was er stattdessen zeigen möchte. Wernicke hingegen begnügt sich mit obiger Kernthese und macht sich erst gar nicht die Mühe, sie auf dem Theater zu belegen. Seine Darsteller lässt er mit dem Gestenrepertoire fahrender Gesangsstars ziemlich allein. Dabei könnte es durchaus anrührend sein, einen emphatisch verzückten Tristan mit typischer Tenorstatur ungeschickt über die Bühne tapsen zu lassen. Doch auf diese Idee kommt ein schauspielerisch nicht sonderlich begabter Mann wie Jon Frederic West nicht von selbst. Da bräuchte er die Hilfe eines Regisseurs. Da aber Wernicke auch sein eigener Ausstatter ist, musste er sich wohl zu sehr um die technischen Probleme seiner keineswegs geräuschlos hin- und herfahrenden Container kümmern. Gabriele Schnaut als Isolde versucht szenisch einiges Schönes, etwa im Wechselbad der Gefühle zwischen Hass und Liebe im ersten Akt oder im Spiel mit ihrem Schatten während der Nachtszene im zweiten Akt. Stimmlich gelingen ihr zu Beginn einige berückend leise Passagen, wie sie nach ihrer Bayreuther Brünnhilde nicht mehr zu erwarten waren. Immer wieder setzt sie gestalterische Momente, singt große Bögen und schafft das Profil der wütenden Prinzessin, die Isolde ja auch ist. Diese sängerischen Tugenden vergisst sie jedoch im weiteren Verlauf des Abends und erweist sich schließlich als recht spätes Mädchen für den Liebestod.

Bedenklicher ist jedoch, dass Jon Frederic West seinerseits eine Art veristischen Sprechgesang einsetzt, wie ihn manche Tenöre besonders in den Delirien des dritten Akts aus reiner Not gerne herausschreien. Dabei kann West die kräftezehrende Partie durchaus singen, müsste sich gar nicht in kunstloses Gebrüll flüchten. Offenbar meint er also, solcherart den emotionalen Gehalt der Oper steigern zu können.

Wollüstige Steigerungen

Warum hat der Schönklang-Dirigent Bernard Haitink ihn nicht von diesem Irrweg zurückgeholt? So steht das wenig subtile Singen der beiden Protagonisten in scharfem Kontrast zum ewig weiterwebenden Wohlklang aus dem Orchestergraben. Übrigens bilden die Musiker von Covent Garden ein reines Opernorchester, das sich nur in äußersten Notfällen auf ein Konzertpodium verirrt. Sie strafen all jene Lügen, die unbeirrt behaupten, der dunkle "deutsche" Orchesterklang könne nur aus vielhundertjähriger Tradition geschöpft werden. Schöner in den wollüstigen Steigerungen, kontrollierter in den Ausbrüchen, sängerfreundlicher in der Balance wird man diese Musik auch in Deutschland nirgends hören. Welcher Sänger könnte da schon mithalten? Peter Rose (König Marke) bleibt hinter diesem Anspruch ebenso zurück wie Alan Titus (Kurwenal); einzig Petra Lang verströmt jenes gelassene Können, das die Zeit gleichsam anhalten lässt. So steht sie im zweiten Aufzug ganz alleine mit ihrer Taschenlampe und erinnert ganz entfernt an E. T. - als wolle sie Zeichen geben: Holt mich hier raus!

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