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Kultur: Triumph der Ehebrecher

Ehebruch in der Antike - das ist zwar nicht gerade das offizielle Thema der diesjährigen Opernfestspiele in Aix-en-Provence. Aber es ist der rote Faden, der die beiden Eröffnungsabende - "Die Krönung der Poppäa" und "Die schöne Helena" - umschlingt.

Ehebruch in der Antike - das ist zwar nicht gerade das offizielle Thema der diesjährigen Opernfestspiele in Aix-en-Provence. Aber es ist der rote Faden, der die beiden Eröffnungsabende - "Die Krönung der Poppäa" und "Die schöne Helena" - umschlingt. Beide sind Gemeinschaftsproduktionen, doch hat es der neue Intendant Stéphane Lissner verstanden, Aix das jus primae noctis zu sichern. "Poppäa" wird im kommenden Jahr bei den Wiener Festwochen zu sehen sein, "Helena" bei den Salzburger Festspielen.Die "Krönung der Poppäa" ist der ungewöhnliche Fall einer Oper, in der die Bösewichter am Ende triumphieren - der machttrunkene, lüsterne Kaiser Nero und die ehrgeizige Poppäa, die nur von dem Gedanken besessen ist, anstelle der Kaiserin Octavia den Thron zu besteigen. Monteverdis gebildetes Publikum wußte allerdings, daß die Liebesgeschichte später übel ausgehen würde: In einem Wutanfall trat Nero der schwangeren Poppäa in den Bauch, worauf sie eine Fehlgeburt hatte und starb. Von Reue überwältigt, ließ Nero einen Sklaven namens Sporus, der Poppäa ähnlich sah, entmannen und heiratete ihn. Der römische Volkswitz kommentierte die sonderbare Zeremonie mit den Worten: "Wenn Neros Vater eine solche Frau geheiratet hätte, wäre uns manches erspart geblieben."Wer das Programmheft aufschlägt und feststellt, daß Klaus Michael Grüber Regie führt, weiß, was ihn erwartet - kein imperiales Rom, auch keine barocke Prachtentfaltung, sondern spartanische Strenge. Ein paar stilisierte Bäume vor einer pompejanisch-roten Wand - das ist fast schon die ganze Szenerie. Wenn wir bei Hofe sind, wird uns das durch einen Imperatorenkopf signalisiert. Am üppigsten ist die Grotte, in der Poppäa schläft, während Otho, ihr Ehemaliger, schwankt, ob er sie ermorden soll: Die Grotte sieht aus wie eines der steinernen Ungetüme im Garten von Bomarzo. Nero und Poppäa benehmen sich nicht wie ein ekstatisches Liebespaar, sondern stehen sich beinahe befangen gegenüber. Selbst den Tod seines Lehrers Seneca befiehlt Nero mit gemessenen Gesten. Nur die Nebenfiguren dürfen dicker auftragen - eine Chance, die vor allem Jean-Paul Fouchécourt als komische Amme Arnalta zur allgemeinen Erheiterung nutzt. Sonst rollt die Geschichte ab, als ob wir eine illuminierte Handschrift durchblättern - dezent und stilvoll, doch arg statisch für ein vierstündiges Drama.Von "Popäa" gibt es keine Originalpartitur, sondern nur zwei voneinander abweichende Abschriften, die wenig mehr enthalten als die Melodie und den Generalbaß. Wie er es mit der Instrumentierung und den Tempi hält, muß der Dirigent selbst entscheiden. Marc Minkowski und seine Musiciens du Louvre haben von der Oper offenbar eine völlig andere Vorstellung als der Regisseur. Im Orchestergraben spielen zwar sogenannte "Originalinstrumente", doch klingen sie süffig, expressiv, ja geradezu romantisch. Senecas sonore Platitüden läßt Minkowski von einer Kammerorgel begleiten. Das concitato genere, die von den Monteverdi-Puristen favorisierten schnellen Sechzehntel, die starke Affekte ausdrücken sollen, ist dagegen nur selten zu hören. Mireille Delunsch (Poppäa), Lorraine Hunt (Octavia) und Anne Sofie von Otter (Nero) bleiben ihren Rollen nichts schuldig. Doch können sie nicht verhindern, daß ihnen der 25jährige Russe Denis Sedov (Seneca) mit seinen molligen Baßtönen die Schau stiehlt.Auch in der "Schönen Helena" triumphieren am Ende die beiden Ehebrecher - die Titelheldin und der Trojanerprinz Paris, der sich, als Hirt verkleidet, in ihr Schlafzimmer und ihr Herz geschlichen hat. Daß es später mit den Trojanern ein böses Ende nehmen wird, weiß man ja. Doch die Verulkung der homerischen Helden sagt uns nicht mehr viel, von den Anspielungen auf Vorgänge am Hof Napoleons III. ganz zu schweigen. Selbst das Quiz, in dem Paris bei Menelaus & Co. erste Lorbeeren gewinnt, eine Parodie auf Wagners Sängerstreit, kommt uns ziemlich albern vor. Seien wir ehrlich: Wenn die Musik nicht wäre, dann wäre "Die schöne Helena" so tot wie Agamemnon in der Badewanne. Aber die Musik deckt nicht einmal die Hälfte des Abends ab. Was tun mit der anderen, sang- und klanglosen?Die erste Frage, die sich der Regisseur vorlegen muß, lautet: Nehme ich Sänger oder Schauspieler? Die Sänger sind meist schlechte Schauspieler, und die Schauspieler singen schlecht. Herbert Wernicke hat Sänger engagiert - aber in der Mehrzahl solche, die weder spielen noch singen können. Überzeugend sind nur Nora Gubisch als Helena und Buddy Elias in der Sprechrolle des Oberpriesters Kalchas. Paris (Alexandru Badea) ist ein rumänischer Krawattl-Tenor, dem sich bei den hohen Tönen qualvoll die Kehle verengt. Schlimmer noch: Wie die meisten seiner Kollegen spricht er ein exotisches Französisch. Gäbe es nicht die französischen Obertitel, dann würde man das Französisch, das auf der Bühne gesprochen wird, nur zur Hälfte verstehen.Wernicke hat sein Personal in moderne Kostüme gesteckt. Die Götter und Helden treffen sich wie Geschäftsleute mit Aktentasche und Namensschildchen auf der Brust. Orest - hier nicht wie üblich von einem Mezzo, sondern einem Kontratenor gesungen - fährt auf dem Motorrad vor. Anachronismen gehörten auch zu Offenbachs Repertoire. Aber er verstand sich besser darauf: Bei dem Quiz im alten Sparta, das Paris gewinnt, lautet die Antwort "Lokomotive" - ein harmloser Kalauer. In einer modernen Umgebung fällt der Witz flach. Man kann Wernicke nicht vorwerfen, daß er aus der Operette eine Klamotte gemacht hat, wohl aber, daß die Klamotte nicht komisch ist. Am Schluß wurde dann auch kräftig gebuht.Bei der Premiere im Pariser Théâtre des Variétés ärgerte sich Offenbach über die kleine Besetzung. Das hat den Dirigenten Stéphane Petitjean nicht daran gehindert, sie noch weiter zu verkleinern. Ganze 13 Musiker spielen in Aix auf, dazu der Maestro am Klavier. Das klingt flott, aber doch mehr wie ein Hotel-Orchester der Belle Époque.Auch wenn der Abend geglückter wäre: Man sitzt hart auf den neuen Holzsesseln im Hof des erzbischöflichen Palastes. Aix sollte es machen wie Tanglewood: Dort werden flache Kissen feilgeboten, die den Steiß schonen und obendrein als Souvenir sehr begehrt sind.

JÖRG VON UTHMANN

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