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Kultur: Trommler in der Wüste - Erinnerungen an den Jazz-Mentor

Er war der einflussreichste Jazzpublizist der alten Bundesrepublik - und ein Musikschriftsteller, der sich mit Büchern wie "Nada Brahma - Die Welt ist Klang" und "Das Dritte Ohr" schließlich eher spirituellen Gebieten zuwandte. Am Donnerstag ist Joachim-Ernst Berendt in Hamburg den Folgen eines Verkehrsunfalls erlegen.

Er war der einflussreichste Jazzpublizist der alten Bundesrepublik - und ein Musikschriftsteller, der sich mit Büchern wie "Nada Brahma - Die Welt ist Klang" und "Das Dritte Ohr" schließlich eher spirituellen Gebieten zuwandte. Am Donnerstag ist Joachim-Ernst Berendt in Hamburg den Folgen eines Verkehrsunfalls erlegen. Berendt wurde 1922 als Sohn eines protestantischen Pfarrers geboren, der später im KZ Dachau umkam. Er gehörte 1945 zu den Mitbegründern des Südwestfunks Baden-Baden. Von 1950 bis zu seiner Pensionierung 1987 leitete er die Jazzredaktion des SWF.

Im Auftrag des Fernsehens organisierte er bald auch Konzerte wie das "New Jazz Meeting Baden-Baden" und gründete 1962 das "American Folk Blues Festival", das alljährlich durch Europa tourte. 1964 begründete er die Berliner Jazztage, die er bis 1972 leitete. Er produzierte rund 250 Schallplatten für Labels wie MPS, Atlantic und Electrola. Sein größter Erfolg ist die Veröffentlichung des "Jazzbuchs", das in immer wieder aktualisierten Ausgaben von 1952 an bewusstseinsprägend geworden ist. Es hat sich weltweit insgesamt über tausend Mal verkauft. Der Hamburger Jazzpianist und Kritiker Michael Naura, Jahrgang 1934, hat den Weg Joachim-Ernst Berendts über Jahrzehnte verfolgt. Seine Erinnerungen an den Mann, der nicht selten ein Jazzpapst genannt wurde, hat Gregor Dotzauer aufgezeichnet.

Joachim-Ernst Berendt war nicht nur einer meiner Förderer in der Anfangszeit des deutschen Jazz. Er war, das habe ich erst viel später mitbekommen, ein extrem politisch denkender Mensch. Wir haben in den Redaktionen viel zu viele Dummköpfe, die den Jazz als Vergnügungsdroge betrachten. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte sehen sie nicht, wo der Platz des Jazz sein müsste. Jazz findet doch mehr oder weniger in den Besenkammern der Radiostationen statt. Dagegen hat Berendt immer gekämpft, und ich fand es gut, mit welcher Vehemenz er gegen diese spezifische Dummheit angegangen ist. Und er hat es verstanden, staatliche Instanzen zu bedrängen und anzuzapfen. Er hat gesagt: So, Leute, die Kultur Deutschlands ist eben nicht nur Beethoven und Thomas Mann, sondern sie ist auch Albert Mangelsdorff und Klaus Doldinger.

Berendt hat "Das Jazzbuch" geschrieben. Es ist, ohne ihn beleidigen zu wollen, sprachlich nicht brilliant. Aber es war eine Fibel, die wir fledderten, weil wir wissen wollten, was war wo, und wer könnten unsere Vorbilder sein. Ich komme aus Berlin, und damals, nach 1945, stand es für uns außer Frage, warum wir uns nicht mit schwarzen Helden wie Leroi Jones identifizieren sollten. Jazz war die Menschensprache an sich, und er war die Sprache der Sieger. Für mich war es wichtig zu wissen, dass die Nazis endlich verloren hatten und dadurch eine Musik möglich wurde, die den Herrschern des Dritten Reichs ein Gräuel war.

"Das Jazzbuch" ist aus heutiger Sicht auch kurios. Es hat etwas Oberlehrerhaftes, weil es nicht eigentlich wertet. Berendt hat alle Informationen, die er kriegen konnte, zusammengefegt, geordnet, aber nicht wirklich reflektiert. Erst später hat er sich zu Wertungen durchgerungen. Aber er war der Mann der ersten Stunde, und ich preise ihn, obwohl er seltsam war.

Esoterische Wende

Berendt war ein Getriebener, manche sagen: ein Durchtriebener. Er hat seine Begeisterung für den Jazz in alle möglichen Kanäle geschickt. Er war ein Organisator. Er hat mit dem Goethe-Institut zusammengearbeitet und die damals führenden Jazzmusiker um den Planeten geschickt und vorher ein paar Vorträge gehalten. Weil er sich aufspielte, immer nach vorne kam und die Musiker als seine tutenden Knechte behandelt hat, erzeugte Behrendt bei den Musikern durchaus Missmut. Aber einige dieser Tourneen sind Gott sei Dank auf Platte verewigt - Albert Mangelsdorff zum Beispiel mit einem ganz frühen Crossover-Projekt in Asien.

Berendt hat immer einen Riecher dafür gehabt, dass Musik etwas Universelles ist. Das Abpacken in Tütchen war seine Sache nicht, und je älter man wird, denkt man, sie ist ein universeller Klang in allen Schattierungen. Die esoterische Wende, die er schließlich vollzogen hat, kommt übrigens bei vielen, die nicht ganz empfindungslos sind. Je näher man dem Sarg rückt, desto esoterischer wird man. Ich habe von Berendet mal eine Sendung über Johann Sebastian Bach gehört, da bin ich vor Begeisterung fast aus dem Bett gefallen. Das war der späte Berendt, und es ist vielleicht typisch für ihn, dass er sich dem Giganten Bach zugewendet hat.

Es gab immer wieder Musiker, die sich abfällig über ihn geäußert haben. Ich kann das sagen, weil ich daran nicht beteiligt war. Und ich sage es eher mit Befremden. Ich habe mich darüber immer gewundert. Wenn man seine politische Durchsetzungskraft hatte - wie beim Jazzfest Berlin -, die auch aggressiv war gegenüber dem Senat, musste man wohl Leute verärgern.

Er war auch immer an der Seite jener, bei denen man frühzeitig sehen konnte, dass sie sich in die Geschichtsbücher einschreiben werden. Berendt war ein Rufer in der Wüste. Ich war viele Jahre Redakteur des Norddeutschen Rundfunks, habe im Geiste Berendts gearbeitet und mich nie vor den unfassbaren Entscheidungen irgendwelcher politischen Redakteure gebeugt.

Wie die meisten Kritiker gehörte Berendt zu denjenigen, die nur mit Müh und Not den Klavierdeckel aufbekamen. Ich glaube nicht, dass er sich in den Details der musikalischen Theorie auskannte. Er hatte sich viel angelesen, war ein unglaublicher Schwamm, aber als Theoretiker unbedeutend. Berendt war der Trommler, und er hat für die richtigen Leute getrommelt. Er hatte ein offenes Ohr. Auch die Tatsache, dass er mich damals schätzen gelernt hat, spricht für ihn. Wir waren ja angetreten, den großen göttlichen Mangelsdorff ein wenig zu bedrängen. Da dachten wir: So Mangelsdorff-infiziert ist er nun auch wieder nicht. Und wie er immer wieder etwas auf die Beine gestellt hat, was sonst nicht möglich gewesen wäre: Hut ab bei allen Fehlern.

Die Ambivalenz von Berendt habe ich immer geschätzt. Er war ein Mann, der sich - dieses Wort sei mir erlaubt- für den Jazz den Arsch aufgerissen hat. Dabei ist natürlich auch etwas für seine Konten herausgesprungen, aber das ist in Ordnung. Eigentlich brauchen wir heutzutage viele Berendts - angesichts der Idiotie in den Medien. Vor allem bei Radio und Fernsehen.

Michael Naura

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