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Kultur: Tropen, Wahnsinn, Kroncong

Joanna Dudley singt im Berliner Radialsystem

Von Gregor Dotzauer

Man reise nicht, hat Nicolas Bouvier einmal geschrieben, um sich mit Exotik und Anekdoten zu schmücken, sondern damit einen die Straße rupft und auswindet. Reisen, glaubte er, sei der beste Weg, sein Ich loszuwerden. Die Frau, der man in Joanna Dudleys Einpersonen-Performance „The Scorpionfish“ im Berliner Radialsystem begegnet, scheint das schon hinter sich zu haben: nicht mehr Fremde in Indonesien und noch nicht Einheimische – ein Wesen, das alle Eindrücke in sich hineinspült und halluzinierend wieder von sich gibt.

„Song and Dance in Tropical Downtown“: Der erste Teil des Untertitels versteht sich von selbst, den zweiten muss man sich vom Programm schon erklären lassen. Denn dass vor imaginären Fensterläden die Geräusche einer ganzen Stadt Einlass begehren, lässt sich so wenig von allein begreifen wie die Tatsache, dass sich hier eine glücklose Frau verkrochen hat. Wenn später ein akustischer Platzregen niedergeht, der sich zu einem Tosen und Kreischen steigert, das sie den Verstand verlieren lässt, ist das auch die Innenwelt einer fieberwirren Frau – ein schwül aufgeheiztes Traumspiel wie Marguerite Duras’ „India Song“.

So nackt die Szenerie, so freigiebig ist die Künstlerin aus dem Umfeld von Sasha Waltz mit Erklärungen. Man kann erfahren, dass es sich bei den Liedern, die sie singt, um die indonesische Version des portugiesischen Fado, den Kroncong handelt, in den sich wiederum hawaiianische Einflüsse mischen. Eine hochsentimentale, zwischen Pathos und Süßlichkeit schlingernde Musik, deren Sängerinnen in den sechziger Jahren die Nachtclubs von ganz Java verzauberten. Schwerromantisch hochgestemmte Lieder von Einsamkeit und Leidenschaft, mit weit geschwungenen Melodien und asiatischen Melismen, gebrochen von kindlich hingekieksten Refrains und verziert von Flöte, Hammondorgel sowie der Ukulele, die der Gattung ihren Namen gegeben hat. In den elektonischen Bearbeitungen des Soundtüftlers SchneiderTM klöppeln obendrein obertönige Gamelan-Gongs mit, die man in den nackten, an fahrbaren Stativen aufgehängten Lautsprechern wiederzuerkennen meint.

Joanna Dudley singt diese Musik, als hätte sie nie etwas anderes getan. Tatsächlich ist die in Berlin lebende Australierin, die Alte und Neue Musik studiert hat, Indonesien nicht erst seit ihrer letzten Produktion „The Geisha Band“ verfallen. Die somnambule Eleganz ihrer Bewegungen (Choreografie: Nicola Mascia) mit den wie in Zeitlupe ausgefalteten Fingerspitzen basiert, wie sie gleichfalls erklärt, auf javanesischen Hoftänzen und auf dem Schattenpuppentheater Wayang Kulit.

Nur der Titel des Abends bleibt ein Geheimnis, das sie nicht auflöst, dessen Lösung zu kennen aber lohnt. „Der Skorpionsfisch“ ist auch der Titel eines hinreißenden kleinen Buchs aus der Feder des anfangs erwähnten Schweizer Weltreisenden Nicolas Bouvier (Ammann Verlag). Eine in düster glühenden Farben ausgemalte Meditation über eine Insel, deren Geister- und Insektenwelt noch am Selbstverständnis jedes Westlers gerüttelt hat.

Vom Abgrund zwischen Verrätselung und Erklärungsnot wird jedoch die ganze Performance verschluckt: Was man nicht sieht, ohne es zu wissen, vermisst man erst recht, sobald man es weiß. „The Scorpionfish“ ist eine Idee von etwas, das Tiefe sucht, doch an einer betörenden Oberfläche hängen bleibt.

Wieder 12./13./14.1. und im März

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