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Kultur: Tschuldigung, Opa

Rock’n’Roll-Dienstleister: Mando Diao veröffentlichen „Ode to Ochrasy“

Von der Decke des Tempelhofer Flughafens schwebt eine Bühne herab, auf der fünf sehr schöne junge Männer stehen. Als sie ihre Gitarren aufheulen lassen, wird im Publikum, das sich gewöhnlich eher mit aufheulenden Motoren beschäftigt, verunsichert am Prosecco genippt. Gerade hat Volkswagen seine neue Sportauto- Studie „IROC“ (Sprich: I rock) präsentiert, eine Rockband muss für die mythische Aufladung sorgen. Sie kommt aus Schweden und heißt Mando Diao. Ihr neues Album „Ode to Ochrasy“ im Gepäck, machen die Newcomer solche Jobs gerne, auch wenn sie das Auto, wie Sänger Björn Dixgard später gestehen wird, vorher nicht einmal gesehen haben.

Die fünf Schweden kennen sich mit dem Verkaufen aus. Ihr Debüt-Album „Bring ’em in“ priesen sie an als „eine rundere Sache als vieles von den Beatles und den Stones“. Wer mit solcher Selbstüberschätzung provoziert, dem wird zwar nicht beigepflichtet, aber zugehört. So muss man reden als Rockstar und Vermarkter, zwei Rollen, die bei Mando Diao verschwimmen. „Dieses Auto ist so schnell und so wütend wie wir.“ Solche Sätze bringen Mando Diao im Interview ohne Wimpernzucken über die Lippen.

Vom Rock’n’Roll als eigenständiger Jugendkultur des Protests und Aufbegehrens ist nicht viel übrig. Die Industrie hat sich seine Attribute angeeignet, und junge Bands haben kein Problem damit, diesen Nihilismus weiterzutreiben – solange sie dabei gut aussehen. Die fünf Freunde aus dem Provinznest Borlänge wurden bei ihrer steilen Karriere von einer Handy-Firma unterstützt: E-Plus verbreitete ihren Song „Lady“ in einem Werbespot. „Man hilft sich eben heute gegenseitig“, so sieht das Schlagzeuger Samuel. Mando Diao feiern seitdem außerhalb Schwedens vor allem in Japan und Deutschland Erfolge. „Das sind die größten Märkte für uns“, sagt Samuel. Nicht: Dort haben wir die meisten Fans.

In einem der wichtigsten Pop-Länder haben sich die Schweden noch nicht etablieren können, auch wenn sie klingen, als kämen sie von dort. Mando Diao sind die Enkel britischer Sixties-Musik. Enkel, weil das musikalische Erbe schon hörbar durch die Hände des Britpop gegangen ist. Mal singen Björn Dixgard und Carl Norén wie John Lennon, dann wie Liam Gallagher, während ihre Lieder zwischen Garage und Soul pendeln. Was Mando Diao bisher nicht gefunden haben, ist ein eigener Stil. Sie sind Rock’n’Roll- Dienstleister, die sich aus vierzig Jahren Musikgeschichte bedienen.

Wie bei den meisten aktuellen Indie- Bands bewegen sich die Texte in einem selbstreflexiven Party-Universum, in dem abgerockt und anderen die Freundin ausgespannt wird. Allerdings klingen Mando Diao weniger rau als beispielsweise die Arctic Monkeys und schrecken nicht vor großen Melodien zurück: Hymnen wie „Mr. Moon“ und „Down in the Past“ sind Stadionrock im Oasis-Format.

Ihre jungen weiblichen Fans verehren sie wie eine Boygroup. Wie schon auf den ersten beiden Alben wollte die Plattenfirma das Cover von „Ode to Ochrasy“ mit den verkaufsfördernden Gesichtern der Jungs schmücken. „Wir haben ein halbes Jahr dagegen gekämpft“, erzählt Carl-Johan. „Wir sehen gut aus auf einem Cover. Aber wir wollten zeigen, dass mehr hinter Mando Diao steckt.“ Sie setzten sich durch und brachten ein Gemälde auf den Titel, das das Programm vorgibt. Künstlerischer sei das neue Album und experimenteller. In letzter Zeit habe man viel Country und Western gehört, erzählt Samuel, und vor allem Ennio Morricone.

Die Messlatte ist freilich hoch gelegt: Wer Kunst erwartet, ist enttäuscht. Dazu sind die Texte zu naiv, die Musik zu wenig innovativ. Das galoppierende Schlagzeug in „The Wildfire (If it Was True)“ und die Banjos in „Song for Aberdeen“ sind witzige Spielereien. Am greifbarsten sind die neuen Einflüsse im Country-Schunkler „Good Morning Herr Horst“, dessen Text allerdings nur von Wohlstandskindern geschrieben sein kann: Gedacht als Entschuldigung an einen deutschstämmigen Stockholmer Obdachlosen, dessen Hütte Björn und Gustav einst im Rausch zertrümmert haben, ist der Song nur eine kitschige Aneinanderreihung von Verliererklischees. Gefühle sind nicht Mando Diaos Stärke. Drei Balladen finden sich auf dem Album, die alle nicht sehr tief gehen. Zuckrige Streicher in „The New Boy“, bedeutungsschwanger gezupfte Akustikgitarren. Am Ende drehen sich Mando Diao eben doch nur um sich selbst.

Am besten sind sie noch immer, wenn sie einfach drauflosrocken. „Long Before Rock’n’Roll“, die erste Single, zeigt, wie es geht. Im Rhythmus von Iggy Pops „Lust for Life“ schlängeln sich abwechselnd süße Melodiebögen Richtung Refrain bis zum entfesselten Gebrüll: „Before Rock’n’Roooooll!“ Das ist pure Pose und will auch mehr nicht sein. Die Lust an reiner Gegenwart.

„Ode to Ochrasy“ (Capitol/EMI).

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