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Kultur: Türkische Früchte

Fatih Akin, Ayse Polat, „Süperseks“: Die Hauptstadt des Immigrantenkinos liegt an der Elbe. Ein Rückblick aufs Filmfest Hamburg

Es ist das Jahr des Fatih Akin. Im Februar hat er, schön turbulente Sensation, mit „Gegen die Wand“ den Goldenen Bären der Berlinale gewonnen. Im Spätfrühling ist er für vier Monate in die Türkei abgerauscht und hat dort, schon wieder berlinalewärts, den Musikdokumentarfilm „Crossing the Bridge“ abgedreht – und dort nebenbei, was ihm offenbar blendend bekommt, satte 15 Kilo abgenommen. Nun ist er frisch zurück in Deutschland, und eine deutsche Jury hat nicht etwa „Gegen die Wand“, sondern den „Untergang“ ins Oscar-Kandidatenrennen geschickt. Ein Problem für Fatih? Im Gegenteil. Erstens bewundert er Oliver Hirschbiegels Film vorbehaltlos, und zweitens schiebt er schelmisch lächelnd nach: „Ich hab noch Zeit.“

Schauplatz des Zitats: das Filmfest Hamburg, die kleine Schwester der Berlinale. Genauer: das ein bisschen angestrengt „S(ch)nackpunkt“ benannte, aber ganz unangestrengte tägliche Palaver im Cinemaxx-Foyer, ein Stehrumchen mit örtlichen Filmstars bei Sekt und Labskaus. „Jou!“, heißt es da gern, wenn ein Gedanke seine Rundung gefunden hat – und kaum hat Akin seine relaxte Show abgezogen, bekommt auch Ayse Polat Gelegenheit, sich vorzustellen. Klein und kraftvoll, wenn auch noch weniger medienerfahren, steht sie da neben Fatih Superstar – und hat mit dem Silbernen Leoparden von Locarno für „En garde“ ebenfalls frischen Glanz vorzuweisen. Ayse und Fatih: Beide Anfang dreißig, sie deutsche Kurdin, er deutscher Türke, sind vor allem Hamburger. Jou!, das mag hier zwar nicht die deutsche Hauptstadt sein, aber die Filmhauptstadt des vitalen, international strahlenden deutschen Immigrantenkinos ist Hamburg allemal.

Eine tolle Erfolgsgeschichte. Nicht denkbar allerdings ohne die Hamburger Filmförderung – jene Institution, der die neue Kultursenatorin Karin von Welck im Sommer mal eben die Hälfte ihrer sieben Millionen Euro abknapsen wollte. Nach heftigem öffentlichem Aufstand wird nun zurückgerudert, und auch das Filmfest lässt keine Gelegenheit aus, den Kreativ-Fördertopf seiner Muttergesellschaft rühmend zu erwähnen. Immerhin, das wochenlange Trommeln lohnt sich: Der Wirtschaftssenator schießt nun wohl zwei Millionen zu, und angesichts des unvermuteten kommunalen Solidarpakts dürfte auch der angedrohte Totalausstieg von NDR und ZDF, bislang mit zusammen zwei Millionen Euro dabei, politisch kaum mehr durchzusetzen sein.

Filmförderung ist kein sexy Thema, aber was, wenn die Filmförderung auch Sachen wie „Süperseks“ möglich macht? Rund 650000 Euro haben die Hamburger in diese insgesamt sympathische Klamotte um eine türkische Telefonsex-Hotline gesteckt, und natürlich feiert der Film kurz vorm Deutschland-Kinostart im Hamburg seine rauschende Welt- und Teampremiere. „Süperseks“ zeigt ein Hamburg, wie es klingt und kracht: Der 23-jährige Elviz engagiert ein paar talentierte Türkinnen fürs Telefon-Stöhngeschäft, und bald ist im Schanzenviertel der Teufel los. Torsten Wackers „Süperseks“ (nach einem Drehbuch des Hamburger Comedians Kerim Pamuk) ist ein Lach-Anschlag auf die vereinigten jugendlichen Döner- und Popcornfraktionen deutscher Großstädte – und bedient nebenbei, in der freundlichen Veralberung der auch sexuell verklemmten türkischen Familienstrukturen und sogar des Islam den Modernitätshunger der dritten Einwanderergeneration. Ja, der Film stillt ihn kurz, um ihn nur noch heftiger anzufeuern – zugleich funktioniert dieser Hunger als Humus, auf dem auch Fatih Akins und Ayse Polats Ideen gedeihen. Umso besser, wenn darauf allerlei verschiedenartige Filmbäume wachsen.

Natürlich trägt das Hamburger Filmfest im zweiten Jahr unter der Leitung von Albert Wiederspiel nicht nur (deutsch-)türkische Früchte, zu denen auch eine von Fatih Akin inspirierte kleine Retro türkischer Filmklassiker gehört. Sondern bringt überhaupt das große Kino-Leuchten in eine weitgehend multiplexisierte Stadt. Da locken die Deutschlandpremieren anderer Festivalereignisse – François Ozons „5x2“, Wim Wenders’ „Land of Plenty“ und Agnès Jaouis „Schau mich an“ –, aber es sind die rund 120 Autorenfilme aus aller Welt, die für ein Besucherplus von rund 25 Prozent sorgen. Stark vor allem die Dänen, auch im Post-Dogma-Zeitalter: Noch immer packen sie einen mit der Unmittelbarkeit der Handkamera, verführen mit der Intimität des natürlichen Lichts. Aber ihre Geschichten sind insgesamt sanfter geworden.

„Gospel für Anfänger“ hätte Hella Joofs Wohlfühl- und Eröffnungsfilm „Oh Happy Day“ ( deutscher Kinostart zu Silvester) auch heißen können – eine Liebeserklärung an die Freiheit, die Liebe und die Musik. Ein schwarzer Gospelsänger übernimmt zeitweise die Leitung eines rührend provinziellen dänischen Kirchenchors, und was mit dem Charme von „Italienisch für Anfänger“ anhebt, geht bald der Versuchung zum Melodram ein wenig zu sehr auf den Leim. Die Hamburger haben es sich dennoch gern gefallen lassen; nicht zuletzt vielleicht, weil ein gut aufgelegter Fatih Akin auch das ganze Filmfest mit anmoderierte. Ein Hauch von Jahrmarkt wehte durch den Raum, als er „Gewinne, Gewinne, Gewinne!“ versprach, wo er Filmpreise meinte, ein Hauch von Hamburger Fischmarkt sogar. Doch Ruhm stinkt nicht, vor allem wenn er aus Hamburg kommt.

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