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Ein-Mann-Orchester ohne Taktstock: Tugan Sokhiev.

© Patrice Nin

Tugan Sokhiev und die Berliner Philharmoniker: Auf offener Bühne

Klangbilder einer Ausstellung: Tugan Sokhiev, Yefim Bronfman und die Berliner Philharmoniker spielen Mussorgsky, Prokofjew und Beethoven.

Wie findet ein Orchestermusiker es eigentlich, wenn der Dirigent ihm am Pult etwas vorfiedelt? Natürlich nur angedeutet - quasi Luftvioline. Die Berliner Philharmoniker inspiriert Tugan Sokhievs gestisch-sinnliches Dirigat jedenfalls zu einer derart differenzierten Spielweise (und sichtlichen Spielfreude), dass man sich mehr solcher Showmaster am Pult des Scharoun-Baus wünschte. Ganz offensichtlich schätzen Sokhiev und die Berliner einander, ja hegen große Sympathien füreinander. Die Rattle-Nachfolge ist geregelt, der ehemalige DSO-Chefdirigent und jetzige Musikdirektor des Moskauer Bolschoi-Theaters bleibt den Philharmonikern aber mit Sicherheit auch in der Petrenko-Ära erhalten, als gerne und oft gesehener Gast.

Ja, Sokhiev ist ein Showkünstler, aber was für einer. Tänzer und Choreograf, Animateur, Pantomime ohne Taktstock: Musik, so seine Botschaft, kommt aus dem Körper. Jeden Takt, jede Phrase verwandelt der Maestro aus Ossetien in ein Miniaturtheaterstück und bleibt den Musikern doch immer zugewandt, schenkt ihnen höchste Aufmerksamkeit. Seine flatternden Hände evozieren den Flötentriller, die zuckenden Schultern den Einsatz der Kontrabässe, der stechende Zeigefinger das prachtvolle Blech beim „Großen Tor von Kiew“ in Mussorgksys „Bildern einer Ausstellung“. Mit der Folge, dass der Facettenreichtum von Ravels Orchestrierung des Klavierwerks ebenso zum Tragen kommt wie das durchgängig Szenische, Expressive – und die Raffinesse im Detail.

Energieschübe en gros, Farbenpracht, Nahfern-Wirkungen durch präzise gesetzte Dynamik – und gegen Ende in all dem Brimborium der Blechbläser ein ungemein kontemplativer Choral-Einschub der Klarinetten und Fagotte: Tugan Sokhiev rettet die Innenwelt der Außenwelt dieses oft so dröhnenden, überstrapazierten Programmklassikers.

Aber von wegen Konzertschlager: Ein Blick ins Programmheft lehrt die Besucherin, dass die Philharmoniker die „Bilder einer Ausstellung“ seit bald acht Jahren nicht mehr aufgeführt haben. Prokofjews „Symphonie classique“, mit der der Abend beginnt, sogar schon 18 Jahre nicht mehr. Mit wendiger Dynamik und Lust an der Pointe kehrt Sokhiev die humoristische Seite des Neoklassikers hervor, sei es die federnde Gangart des Kopfsatzes oder das Täppische der Gavotte. Und wenn er im Finale alles Melodische in einen rasanten Strudel reißt, fördert er die Mechanik zutage, die vielleicht ja jeglichem musikalischen Humor innewohnt.

Auch Pianist Yefim Bronfman spielt mit Bedacht auf Risiko

Yefim Bronfman erweist sich bei Beethovens 3. Klavierkonzert c-Moll vor der Pause als kongenialer Partner: Auch er musiziert reaktionsschnell und risikofreudig, versenkt sich in einzelne Momente, ohne je den großen Bogen zu vernachlässigen. Immer wieder stürzen Orchester und Pianist sich synchron in Beethovens Stimmungsumschwünge. Bei der Kadenz im „Allegro con brio“ hebt Bronfman mit voller Wucht an, um das Seitenthema dann als fernen Traum aufscheinen zu lassen. Ähnlich setzt er dem Orchester-Fugato zum Ende des Finalsatzes, das Sokhiev behutsam aufblühen lässt, feine Irrlichter auf. Beethoven aus dem Geist Debussys: Bronfmans mondnächtliche Zugabe, „Clair de lune“ aus der „Suite bergamasque“, bestätigt das aufs Schönste.

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