zum Hauptinhalt
Hedi (Majd Mastoura) und Rym (Rym Ben Messaoud).

© arsenalfilm

Tunesischer Film "Hedis Hochzeit": lch werde so frei

Das Ringen um Individualität in der Gemeinschaft, darum geht es in "Hedis Hochzeit". Der Debütfilm von Mohamed Ben Attia ist aber auch eine Parabel auf Tunesien nach der Arabellion.

Mit fahrigen Händen schnürt sich Hedi (Majd Mastoura) die Krawatte um den Hals. Er steht unter Druck. In einer Woche findet Hedis Hochzeit statt, und sein Chef gibt ihm keinen Urlaub für die Flitterwochen. Stattdessen schickt er Hedi, Sales-Manager bei Peugeot im tunesischen Kairouan, jetzt gleich in das mehr als 100 Kilometer entfernte Mahdia. Er soll bei den Fahrzeughändlern in der Gegend anklopfen, um in der nachrevolutionären Wirtschaftsmisere doch noch ein paar Autos zu verkaufen. Und Hedi bemüht sich, so könnte man meinen, den Stress so ruhig und gelassen wie möglich zu nehmen.

Bei genauerem Hinsehen und Hinfühlen aber nimmt er gar nicht recht teil am eigenen Leben. Hedi ist, auch privat, nur körperlich anwesend, fürs Protokoll. Und das sieht vor, dass der 25-Jährige jetzt bitte schön heiratet und eine Familie gründet. Alles ist in die Wege geleitet, die Braut gefunden, das Haus in direkter Familien-Nachbarschaft hergerichtet. Komplizierte Hochzeitsrituale, nächtliche Treffen mit der Verlobten im Auto, all das macht Hedi mit. Ohne einen Funken Spannung im Körper, mit einem bitteren Zug um den Mund. Jenseits der Pflicht scheint es für ihn nichts zu geben – oder er sieht dieses Andere einfach nicht.

Hedi begehrt auf gegen sein vorbestimmtes Schicksal

So verbringt er die Woche vor der Hochzeit in Mahdia, ein paar gleichgültig absolvierte Geschäftstermine und dann, was soll’s, legt er sich an den Strand. Dort lernt er Rim (Rym Ben Messaoud) kennen, eine unabhängige und unvoreingenommene Frau, die im Hotel als Animateurin arbeitet. Hedi ist wie hypnotisiert. Plötzlich schämt er sich dafür, dass er sein Leben mit eingezogenem Kopf und so ganz ohne Anteilnahme vorüberziehen lässt.

Und schon steckt er mitten in einer amour fou: Mit Rim steht der Weg infrage, auf den er – personifiziert durch seine Mutter (Sabah Bouzouita) – entsprechend der Tradition und Sitte gelenkt werden soll. Plötzlich begehrt Hedi auf: gegen sein vorbestimmtes Schicksal, gegen die ehernen sozialen Gesetze und ihre leeren Floskeln, die man sich frech wie Lügen ins Gesicht sagt – im Namen der Höflichkeit.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

So gedämpft wie ihr Protagonist zu Beginn, so ruhig auch ist die tunesisch-belgisch-französische Koproduktion angelegt, die auf der jüngsten Berlinale– Originaltitel: „Inhebbek Hedi“ – als bester Erstling ausgezeichnet wurde. Zugleich dokumentiert sie exakt das Gewicht der Gemeinschaft und die eingeschliffenen sozialen Mechanismen, die Hedi die Lebensgeister abwürgen. Das eigentliche Drama, das Ringen um Individualität in der Gemeinschaft, spielt sich in den Gesichtern der Darsteller ab.

Eherne Gesetzmäßigkeiten aufzubrechen ist schwer

Vor allem Majd Mastoura als Hedi ist eine stille Sensation (er bekam zudem den Darsteller-Bären): Passt er zunächst noch in das Schema „verdrossener junger Mann“, erblüht seine unterdrückte Emotionalität in geradezu kindlicher Schönheit, als er sich Hals über Kopf verliebt. Ein Gesicht, das sich öffnet und verschließt; ein Mann, der, abhängig von Frauen, nun mit Rim im Rücken die Rebellion wagt. Und auf einmal schreit Hedi auch seine ganze Verzweiflung über die ausgebliebene soziale Modernisierung heraus, die er sich, wie so viele, nach der Revolution 2011 erhofft hatte.

Regisseur Mohamed Ben Attia will seinen Film auch als Parabel auf Tunesien nach der Arabellion und auf die Enttäuschung der Jugend verstanden wissen – dabei bleibt die Verbindung recht abstrakt. Es waren die jungen Leute, die sich bei den Demonstrationen in die ersten Reihen gewagt hatten. In den euphorischen Wochen nach dem Sturz Ben Alis kosteten sie den Geschmack eines anderen Miteinanders. Aber eherne Gesetzmäßigkeiten aufzubrechen ist noch schwieriger, als einen Diktator zu verjagen. Politische Revolte und individuelle Befreiung, das beginnt auch Hedi zu verstehen, sind nicht dasselbe.

b-ware! ladenkino, fsk Oranienplatz, Lichtblick und Moviemento (alle OmU)

Carolin Haentjes

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false