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Was sieht dich hier so finster an? Ein Wachmann in Wimbledon.

© Reuters/Eddie Keogh

Tunnel über der Spree: Was plötzlich aus dem Dunkel tritt

18 deutschsprachige Schriftsteller und Schriftstellerinnen diskutieren im Literarischen Colloquium Berlin über die Kräfte des Dämonischen. Aus welchem Himmel ist dieses Thema wohl gefallen?

Von Gregor Dotzauer

Alles Dämonische, erklärt Diotima in Platons „Symposion“, „liegt in der Mitte zwischen Gott und Mensch. Es vermittelt und überbringt den Göttern die Anliegen der Menschen und den Menschen die der Götter: von den einen die Gebete und Opfer, von den anderen die Gebote und Gegenleistungen für die Opfer.“ Was sie für den Dämon des Eros beansprucht, ist deshalb unentbehrlich: Ohne daimon gibt es keine eudaimonia, keine Glückseligkeit, und kein Streben nach Vollendung. Von da aus zu Buffy, dem Highschoolgirl, das im amerikanischen Sunnydale das Tor zur Hölle entdeckt und in der gleichnamigen Fernsehserie sieben Staffeln lang Vampire, Dämonen und andere Geister jagt, ist es ein weiter Weg.

Selbst fernab von Dostojewskis in der russischen Sagenwelt verankerten „Dämonen“, fern von arabischen Dschinns, die Wünsche erfüllend ihren Flaschen entsteigen, oder auch jüdischen Dibbuks, die aus dem Totenreich kommen und in die Körper von Lebenden fahren, ist die Lage unübersichtlich. Die Erscheinungsformen des Dämonischen sind so vielfältig, dass man gerade im Volkstümlichen ohne einschlägige Bestimmungsbücher kaum auskommt: Allein das legendäre „Handwörterbuch des deutschen Aberglaubens“ umfasst zehn Bände. Würden einem auch nur drei deutsche Gegenwartsromane einfallen, die dieses Feld irgendwie bestellen? Ist Andreas Maiers Dostojewski-Aktualisierung „Kirillow“ nicht schon zwiespältig genug?

Die Aufforderung „Zeig mir deinen Dämon“, mit der das Literarische Colloquium Berlin jetzt 18 durchweg jüngere Schriftsteller zum zweitägigen „Tunnel über der Spree“ einlud, klingt eher wie: Jetzt seid mal nicht so harmlos! Wobei darin vielleicht schon das große Missverständnis eines zeitgenössischen Dämoniebegriffs liegt. Für Sven Hillenkamp ist das Dämonische die zentrale „Werbebotschaft unserer Zeit“, ein Massenprogramm, das viel relevanter sei als zu Zeiten von Nietzsches „Zarathustra“ und Hermann Hesses „Steppenwolf“. Indem es ständige Kreativität fordere und Selbstüberschätzung produziere, müsse man heute von einer „Besessenheit 2.0“ ausgehen, „die ins Selbstreflexive einfließt". Man könne kaum mehr aufwachen, ohne zu denken: Sei dämonischer!

Mit dieser Diagnose blieb er allerdings ziemlich allein. Aus den psychopathologischen Kategorien und des Himmels Ordnungen wollte so recht niemand ausbrechen. Denn die Vorstellung, dass oben Gott mit seinen Engelsscharen thront, während tief drunten sich die Gefallenen tummeln und Luzifer böse Spiele treibt, hat, auch ins Säkulare übersetzt, in ihrer Polarität noch immer eine ungeheure Anziehungskraft – sämtliche Zwischenwelten von Hell und Dunkel eingeschlossen.

„Mein Dämon ist Gott“, behauptete Thomas von Steinaecker und las aus seinem postapokalyptischen Romanmanuskript „2045“. Heinz, ein überlebender 17-Jähriger und sein Roboterfreund F87 bewegen sich darin durch eine Welt geiler Mutanten: ein Versuch, literarisch „ein positives Verhältnis zur Spiritualität“ zu entwickeln, dessen Sprachfantasie mit seiner szenischen Einbildungskraft jedoch nicht annähernd Schritt hält.

„Ich glaube nicht an Gott, aber daran, dass sich jederzeit etwas aus dem Dunklen lösen kann und unser Leben zerreißt. Ich bin bereit für mehr Dämonen“, sagte Benjamin Maack, der in seinem Erzählungsband „Monster“ (Mairisch Verlag) mit absurdem Witz dunkle Kräfte beschwört, ohne ins Fantastische auszuweichen. Sein Verständnis des Dämonischen ist in einem Freud’schen Sinne „unheimlich“. Woraus freilich nicht folgt, dass Literatur nur „das Reich des schemenhaften Erkennens“ wäre. Sie mag sich von der Philosophie durch die Abwesenheit urteilenden Denkens unterscheiden – ihre Präzision liegt in einem Evokationsvermögen, das seinen Gegenstand, und sei er noch so schemenhaft, in sprachlichen Bildern bannt.

Die finstersten und genauesten Texte kamen am ersten Tag von Frauen. Für Terézia Mora ist „das Schreckliche“, sofern es das Dämonische berührt, „ein Lebensthema“. Schon ihr Debüt „Seltsame Materie“ feierte in zehn Geschichten neun Tode. Wenn sie unterrichtet, bietet sie gerne Seminare über „Extreme“ an. Beispiel Vladimir Sorokin: In „Der himmelblaue Speck“ vergewaltigt Hitler Stalins Tochter. Moras demnächst erscheinender Roman „Das Ungeheuer“ folgt den Abgründen von Darius Kopp, der schon im Zentrum ihres letzten Buches „Der einzige Mann auf dem Kontinent“ stand. In einem atemlosen Stück Prosa entwarf sie eine Folterszene samt chemical waterboarding, die, ohne dass man ihre Funktion kennen konnte, keinen Zweifel daran ließ, dass es sich nicht um „Drastik als Joker“ handelte, wie Tilmann Rammstedt angesichts mancher Gewaltdarstellungen zu Recht mutmaßte.

Monique Schwitter beschäftigte sich mit „Kopfgeburten“ – „Wunschkindern, ungewollter Brut und Kuckuckskindern“. Virtuos vermischen sich bei ihr Mythologisches, Poetologisches und Anekdotisches – bis hin zur Mahnung, neben Auge und Ohr, den für Schriftsteller besonders gefährlichen Körperöffnungen, auch auf die Nase zu achten: Kürzlich entfernten Aachener Ärzte einem halbblinden 24-jährigen Afghanen einen Bleistift aus der Kieferhöhle, der ihm bei einem Sturz als Kind unbemerkt in die Nase eingedrungen und gewandert war. Trat nicht Jesus übers Ohr in die jungfräuliche Maria ein?

Viele dieser Imaginationen sind eine Art von Exorzismus. Manche haben ihn nur nötiger als andere. Judith Schalansky etwa schämt sich heute noch, als Kind in der Geisterbahn die Arme vors Gesicht gehalten zu haben – vor den Eltern, die ihr Geld so unnütz ausgaben. Symbolisch bezahlt sie heute noch dafür: mit einer Literatur, die hinsieht, auch bei ganz undämonischen Themen. Gregor Dotzauer

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