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Turbo Pascal stellt "Vertrauensfragen".

© Janina Janke

Turbo Pascal in den Sophiensälen: Stille Post mit Fake News

Denkanstoß: Die Gruppe Turbo Pascal streut in den Sophiensälen Fake News, welche das Publikum dann weitertragen soll.

Ein Gerücht geht um in den Sophiensälen. Da ist dieser Typ, der bekommt jedes Mal, wenn er eine Mutter mit Kind im Park sieht, Lust, ihr ins Gesicht zu schießen. Und so einer soll Teil der Gesellschaft sein? Daneben verblasst doch die Information, dass eine Unbekannte Donald Trump und Theresa May auf ihre persönliche Hassliste gesetzt hat. Oder dass mindestens fünf Menschen aus unserer Mitte nicht glauben, dass in den kommenden Jahren eine rechtspopulistische Partei an die Regierung gelangt. Muss ja eigentlich niemand wissen. Oder?

Die Gruppe Turbo Pascal zieht in den Sophiensälen wieder eines ihrer performativen Menschenexperimente auf: „Vertrauensfragen“. Es geht um den Informationsfluss, die Grundlage unseres Weltbildes. Was in Zeiten, in denen es durch die sozialen Kanäle nur so rauscht, längst zum Problem geworden ist. Fake News und sonstige irreführende werden zum munteren Metastasieren eingespeist. „Wie naiv ist es, eine existenzielle Entscheidung wie den Brexit als vermeintlich informierten Wählerwillen umzusetzen – wenn dieser Wille durch Desinformationskampagnen zersetzt wurde?“, fragt die Publizistin Carolin Emcke in einem Text, den Turbo Pascal ins Programmheft übernommen hat.

Zu viel bleibt dem Einfallsreichtum der Zuschauer überlassen

Die Zuschauerinnen und Zuschauer sitzen im Theatersaal anfangs noch verstreut, neben sich jeweils einen leeren Stuhl. Das Performer-Team um Angela Löer, Frank Oberhäußer, Eva Plischke und Margret Schütz gesellt sich mal hier, mal dort dazu und gibt eine erste Runde aus: Hey, schon gehört? Bei der zurückliegenden Inszenierung von Turbo Pascal haben Identitäre die Vorstellung gecrasht und Parolen skandiert. Könnte heute Abend wieder passieren, bitte weitererzählen! Zunehmend ist es aber dem Publikum selbst überlassen, Geschichten zu verbreiten, auf dass sie sich verselbstständigen und wie beim Stille-Post-Spiel verformen. Anonymisieren darf man sich zu diesem Zweck auch, sodass bald alle hinter Sonnenbrillen, Masken oder Imker-artigen Hüten verschwunden sind.

Diese Übersetzung einer digital bedingten Vertrauenskrise in den analogen Raum entfaltet als Denkanstoß durchaus ihre Wirkung. Wobei die Performance nicht die Stärke der jüngsten Arbeit „Böse Häuser“ erreicht, mit der Turbo Pascal gerade zum Stückemarkt des Theatertreffens eingeladen war. Die führte beeindruckend vor, wie subtil populistische Narrative ihr antidemokratisches Gift einsickern lassen. Diese Erfahrung am eigenen Leibe, stilprägend für das Berliner Kollektiv, gewinnt im aktuellen Fall leider keine vergleichbare Dringlichkeit. Es bleibt zu viel dem Einfallsreichtum der Zuschauerinnen und Zuschauer überlassen, die zumindest bei der Premiere kein Talent als skandalisierungsbereite Trolle zeigen. Auf der anderen Seite ist das natürlich auch eine gute Nachricht: Zumindest in der freien Szene sind noch Menschen unterwegs, denen man vertrauen kann.

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