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Kultur: Tutto Radio

Plötzlich dann doch eine vertraute Stimme: George Harrison singt „My Sweet Lord“. Wir fahren auf engen Serpentinen hinauf nach Castellabate.

Plötzlich dann doch eine vertraute Stimme: George Harrison singt „My Sweet Lord“. Wir fahren auf engen Serpentinen hinauf nach Castellabate. Tief unten glitzert das Meer, oben, 278 Meter hoch, wartet das im 12. Jahrhundert errichtete Kastell mit dem dazugehörigen, äußerst malerischen Flecken, der auf der Liste der „Borghi più belli d’Italia“ steht, der schönsten Dörfer Italiens. Hinter jeder Kurve verschwindet Harrison im Rauschen des Äthers, um dann wie magisch immer wieder aufzuerstehen, knisternd und knarzend: „I really want to see you / Really want to be with you / Hm, my Lord.“ Ein Lied aus uralten Zeiten, Gesang wie aus dem Jenseits.

Internationaler Pop ist rar im italienischen Radio. Auch dort spielen die Sender, einem deutschen Werbeslogan folgend, die größten Hits der 70er, 80er und 90er Jahre und das Beste von heute. Nur sind es fast immer italienische Hits und das Beste aus der gegenwärtigen einheimischen Produktion. Die Stationen heißen Radio Amore, Ritmo 80, KISSKISS, R-Norba, Radio 24 oder Radio Italia, zu hören sind aufgekratzt wirkende Moderatoren und eine Musikauswahl, die von der geigenflirrenden Inbrunst des Klassikers „Volare (Nel blu dipinto di blu)“, Sieger des Sanremo-Festivals von 1958, bis zur Coldplay-haften Powerpop-Euphorie des aktuellen Erfolgs „Ti porto via con me“ reicht, dargeboten von einem Sänger namens Lorenzo Jovanotti. Auf dem Display des Autoradios erscheinen mit den Namen der Sender Kategorien für die jeweilige Klangfarbe, „Divertimento“, „Musica Pop“ oder „Canzoni“. Gemeint ist: Italo-Pop, Italo-Rock, Italo-Rap, Italo- Schlager. So wird die italienische Reise zum Aufbruch in einen fremden musikalischen Kontinent, zum Trip durch una musica dolce. Und zum Rätselspiel. Die Frau mit dem rauchig-röhrenden Organ – ist das Gianna Nannini? Wer schmachtet so hingebungsvoll „Tu“ – Umberto Tozzi? Und wer könnte die Diva sein, die ein ganzes Orchester um ihren kleinen Finger wickeln kann – Mina, Milva?

Der Sommerhit des Jahres 2013 stammt aber auch in Italien von zwei französischen Robotern: „Get Lucky“ von Daft Punk. Die Pariser House-Pioniere Guy-Manuel de Homem-Christo und Thomas Bangalter, die sich nur mit ScienceFiction-Helmen zeigen, haben es mit ihrem jüngsten Geniestreich in 20 europäischen Ländern auf Platz 1 der Charts geschafft. Zum ersten Mal hören wir „Get Lucky“ auf der Autobahn zwischen dem Flughafen von Neapel und Agropoli. Dann in einem Schuhgeschäft auf dem Corso eines Hafenstädtchens im Cilento, wo kunstlederne Strandschuhe der Marke „Pradella“ nur zehn Euro kosten. Und schließlich 220 Kilometer weiter östlich, an der anderen italienischen Küste, in einer apulischen Ferienanlage. Der Abend dämmert, die „Beach Bar Quick Food“ hat bereits geschlossen. Die Stühle sind auf die Tische gestellt, die Tresenfrau hat zum Abwasch die Musikanlage voll aufgedreht. Sie wippt zum funky Bass. Bald wird die Sonne in der Adria versinken. Get Lucky. Ein Glücksmoment.

Christian Schröder berauscht sich an Italo-Sommerhits

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