zum Hauptinhalt
Lindenberg

© dpa

Udo Lindenberg: So groß mit Hut

Gott oder Schrott? Der Deutschrocker Udo Lindenberg und sein neues Album „Stark für zwei“. Ein Pro und Contra.

Pro

von Jens Mühling

Um auch mal jüngere Leute anzusprechen, hat sich Udo Lindenbergs Label Warner fürs neue Album richtig was einfallen lassen: einen Udo-Lookalike-Wettbewerb im Internet. Wer glaubt, er sei wie Udo, kann sich entsprechend kostümieren und sein Bild unter www.dubistudo.de ins Netz stellen. Dort beurteilen dann andere Udo-Fans, wie nah man dem echten Udo kommt.

Beim Durchklicken der Fotos kommen einem drei Dinge in den Sinn. Erstens: Die Zeit arbeitet für Lindenberg. Er ist modisch ungefähr da stehen geblieben, wo die Retrowelle gerade wieder ankommt. Röhrenjeans, Cowboystiefel, Lederkrawatten, Sonnenbrillen im Nachtsichtgerätformat – geht alles wieder. Sogar der Hut. Weshalb die jungen Leute in ihren Udo-Outfits auch gar nicht sonderlich kostümiert wirken.

Zweitens fällt auf: Es gibt offenbar eine ganze Menge Leute, die gerne Udo wären.

Drittens fällt auf: Keinem gelingt es auch nur ansatzweise.

Gut, eine Nation aus lauter Udos, das kann sich auch keiner ernsthaft wünschen. Würde ja niemand aushalten. Man hält den Mann ja schon alleine kaum aus. Die Nölerei. Die miesen Witze. Die bratzlangweilige Musik, die schwurbeligen Texte, diese ganze alberne Panik-Nummer. Der Hut!

Bloß: Eine Nation ohne Udo würde erst recht keiner aushalten. Einen von der Sorte braucht man schon. So einen, an dem jeder Zeitgeist vorbeirauscht, ohne dass es ihm auch nur den Hut vom Kopf weht. Einen, dem nichts peinlich ist, der nicht mal den leisesten Gedanken daran verschwendet, wie das jetzt gerade rüberkommt, was er da wieder für einen Stuss von sich gibt. Einen, der nie aus der Zeit fallen wird, weil es eh nie eine Zeit gab, die sein Fall gewesen wäre.

Bei seinem neuen Album wird jetzt viel von den andersartigen Arrangements geredet, von der Zusammenarbeit mit jüngeren Künstlern wie Jan Delay und Silbermond, von einer „Ankunft im Alterswerk“ sogar. Alles Quatsch. „Stark wie zwei“ klingt, wie Udo Lindenberg schon immer geklungen hat. Ein bisschen peinlich, aber so selbstbewusst peinlich, dass es niemandem peinlich sein muss. „Die Mode kam / Die Mode ging“, singt Udo, „Und man war immer noch der King / Ich mach mein Ding / Egal, was die andern labern / Was die Schwachmaten einem so raten / Das ist egal.“

Lediglich ein paar kleine Gimmicks hat Udo auf die Platte gepackt, das schadet aber auch nicht weiter. Zum Beispiel trägt er in „Ganz anders“ im Duett mit Jan Delay den längst überfälligen Wettbewerb um die Frage aus, wer Deutschlands nervigste Nölstimme hat. Ausgang unentschieden, genau wie beim Zweikampf gegen Helge Schneider in „Chubby Checker“: Da geht es offenbar darum, wessen Lachschwellenunterschreitung die lustigere ist.

„Ich bin gar nicht der Typ / den jeder in mir sieht“, heißt es an einer Stelle des Albums. „Und das werd’ ich euch beizeiten / auch alles noch beweisen.“

Vergiss es, Udo.

Contra von Kai Müller

Jeder deutsche Popmusiker, der etwas auf sich hält, zieht vor Udo Lindenberg den Hut. Der Mann ist ein Gigant, ein Selbsterfinder, ein Reptil und sowieso schwer in Ordnung, auch wenn er, wie Spötter meinen, seine Idee von Lockerheit bloß von Rio Reiser übernommen hat, um sie den Massen ans Herz zu legen. Heraus kam: Schubidu.

Doch trotz seiner unbestreitbaren Erfolge kann kaum mehr jemand was mit Udo anfangen – bis auf ein paar wackere Freunde, Begleiter und junge Fans wie Jan Delay, Ben Becker oder Benjamin von Stuckrad-Barre, die ihn als väterlichen Ratgeber sehen. Ach ja, und all jene, die Lindenberg als den klassischen Helden deutscher Straßenlyrik verehren.

Nun zieht er seinen Hut auch noch selber. Vor wem? „Ich bin gerast durch dieses Leben“, singt Lindenberg „Mann, ich hab mich selber fast verlor’n / Doch so’n Hero stürzt ab / steht auf, startet von vorn.“ Und deshalb zieht er seinen Hut vor dem einzigen Wesen, das ihm etwas bedeutet: „Du warst immer bei mir, irgendwie / Wie ’ne superstarke Melodie / Die mich packte und nach Hause trug.“ Gemeint ist wohl die Muse. Was wieder mal – ganz udo-typisch – auf eine Verbeugung vor sich selber hinausläuft.

Lagerfeuer-Gitarre, Klavierakkorde, das Schlagzeug dampft und zischt. Dazu Lindenbergs Gesang wie in einem schalltoten Raum. Echo interessiert ihn nicht. Dass „Stark wie zwei“, das erste Album mit neuen Lindenberg-Liedern seit acht Jahren, unter Mithilfe von Getreuen wie Helge Schneider, Till Brönner, Silbermond-Sängerin Stefanie Kloß und Annette Humpe entstand, hört man nicht einmal. Musikalisch hat Lindenberg die Bescheidenheit entdeckt. „Eigentlich bin ich ganz anders“, singt er nun im Duett mit Rapper Jan Delay, „ich komm nur viel zu selten dazu.“

Ist das die Wende? Viele Kritiker überschlagen sich ob dieser Seelenöffnung, die man in der Tat nicht mehr von dem bräsigen, im Hotel-Atlantic-Dschum versunkenen Schlagerrocker erwarten durfte. „Eintritt in sein Spätwerk“, jubelt der „Spiegel“. Und die „Welt“: „Beste neue Lindenberg-Platte seit über 20 Jahren.“ Kann schon sein. Aber viel mehr als ein annehmbares Album ist das 41. im Udo-Oeuvre nicht geworden. Eine gewisse Bedeutung mag es im Gegensatz zum krampfig-jugendlichen Rock-Müll haben, den Udo mit dem reanimierten Panik-Orchester angehäuft hat, doch eine Zeitstimmung einfangen, treffen, gar verändern – das leistet es nicht.

Musikalisch bleibt alles bieder, thematisch einfallslos und sprachlich überladen. Da geht es um Senioren-Tanztees, Alkoholsucht, den Tod, ums Verkanntwerden und lärmendes Mediengetue, um Raketenstarts und, naja, um miese und richtig miese Tage. Das mag nicht so schlimm neben der Spur sein wie meistens. Die Kunstfigur Lindenberg tritt ordentlich aufgepolstert an den Start. Aber, mein Gott, will man das hören? Es muss doch noch was anderes geben als dieses antiquierte Ewiggenuschel in einer Schwachmaten-Welt.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false