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Kultur: Über den Durst

Dem Kontrollör ist nichts zu schwör: Das Maulhelden-Festival hat das erste Wochenende überstanden

Mit einem Erfolg der etwas anderen Art begann am Freitagabend das Maulhelden-Festival im Tempodrom. Der Rundfunk Berlin-Brandenburg hatte erst kurz zuvor beschlossen, die Veranstaltung aufzuzeichnen. So musste Kabarettist Arnulf Rating als Festival-Organisator und Moderator zum Auftakt ein paar erklärende Worte sprechen. Um eine Klatschprobe bat er auch, damit die Tonmeister selbst mit überschwänglichstem Jubel umzugehen wissen. Das erledigt, zieht sich Rating mit der Bitte zurück, das Publikum möge doch gleich, wenn’s richtig losgeht, so tun, als hätte es ihn noch nicht gesehen. Dann beginnt die Show und ein Applausorkan bricht los, Rating beginnt ob der guten Mitarbeit des Publikums zu strahlen, strahlt, grinst, schaut auf die Uhr – die wollen einfach nicht aufhören zu klatschen!

So feiert das Publikum sich selbst, noch bevor alles angefangen hat. Beleg der Amüsierwilligkeit, mit der es an diesem verregneten Tag angereist ist. Auch ignoriert es die unbequemen Sitze und die grelle Beleuchtung im Tempodrom. Man ist ja schließlich gekommen, um seinen Spaß zu haben! Dann aber muss es auch losgehen mit dem Ernst des professionellen Witzemachens. Als erstes stellen sich die „U-Bahn-Kontrollöre in tiefgefrorenen Frauenkleidern“ dem, wie sie sagen, „Rotzfahnensound des Tempo-Droms“. Der Zuschauer hat eine volle Ladung Achtzigerjahre-Erinnerungs-A-Capella zu gewärtigen; Wickie, Nena und Biene Maja wohin man hört, die Generation Golf als Knabenchor, allerdings mit wuchtigem Bass-Gewummmer. Die Prinzen im Hardcore-Gewand, aber genauso hässlich.

Als Vorwärmer, als eine Erklärung des guten Willens, kann man das hinnehmen. Mit Georg Schramm folgt, was man von einem „Festival der Wortkunst“ erwartet: bittere Satire („Nach zehn Jahre Soli darf man auch wieder über die Ossis lachen“), makabre Späße („Bis jetzt ist die deutsche Wiedervereinigung - toitoitoi - unblutig vonstatten gegangen“) und anzügliche Witze („Nicht alles, was Eichel heißt, ist unangenehm“). Schramm tritt als zackiger Leutnant Sanftleben sowie als mäkelnder, verrenteter Dauerspötter Dombrowski auf.

Der christliche Säufer

Dabei zeigt sich deutlich: Zur Komödie eignen sich vor allem scharf gezeichnete Typen. Figuren, deren Erregungspotential sie die Welt aus einer immer schrägeren und zugespitzteren Perspektive betrachten lässt. Solche Figuren sind die Kunst der Karikatur: wenige, umso kräftigere Linien. So kommt Schramm mit einem Sprechfehler, einem Rentnerjackett und einem Lederhandschuh aus. Sein Autritt ist stimmig, jede Pointe sitzt. Die Halle ist begeistert, auch dann noch, als er sich des Iraks annimmt. Vom Irak allerdings ist der Weg nicht weit zu George W. Bush. und da geschieht etwas Seltsames: Dem Kabarettisten geht der Witz flöten, und übrig bleibt Empörung. Das Publikum trifft dieser Wandel unvorbereitet und so sitzen die Leute betroffen, als Schramm nach dem fast herausgeschrienen Satz „Wir sind in Menschenrechtsfragen von einem texanischen Cowboy abhängig, der im Suff zum christlichen Fundamentalisten mutiert ist!“ von der Bühne eilt.

Da war es kurz, das heilige Gespenst der politischen Satire: die Moral. Es sollte sich noch zeigen, dass Comedy auch Kritik bedeuten kann, Medienkritik, sogar Kapitalismuskritik. Zum Beispiel bei „Reverend Billy and the Church of Stop Shopping“, von der „New York Times“ als das „ausgelassenste und treffendste politische Theater“ in der Stadt bezeichnet. Unter diesen Umständen sollte man im Big Apple lieber kein Theater betreten. Was Reverend Billy alias Billy Talen nämlich bietet, ist eine billige Nachahmung amerikanischer Fernsehprediger nebst der albernen Ansicht, Einkaufen sei verwerflich. „Stop Shopping“ lautet die Botschaft und tatsächlich gelingt es dem aufgemotzten Bibel- Punk, die Tempodrom-Gemeinde zum Mitbrüllen zu bewegen. So weit geht deren Amüsierwilligkeit, dass sich der gospelseligen Mitmach-Comedy kaum jemand widersetzt. Es wird mitgeklatscht, ist der Rhythmus nur schlicht genug.

Weiter gehts – mit Rebecca Carrington, die keiner versteht, Helmut Schleich, den keiner witzig findet, und mit Alfred Dorfer, dessen Österreichisch viele noch schlechter verstehen als das Englisch seiner Vorgängerin.

Lustiges aus dem Hinterland

Nach einem Eingangsständchen wagt es Alfred Dorfer denn auch nicht, einen alpenländischen Zungenschlag weiter hervorzukehren. Außerdem will er ein wenig das deutsche Publikum beschimpfen, und Beleidigungen machen ja nur Sinn, wenn man verstanden wird. So muss mal wieder die Pisa-Studie zur Belustigung herhalten – die Bildungsmisere als Länderstereotyp. Als Schmankerl folgt noch etwas Philosophie, ein dunkles, paradoxes Gedankenspiel: „Der Weg ist das Ziel. Bin ich also schon besoffen, nur weil ich durstig bin?“

Vom Philosophischen ist es nicht allzu weit zum Allzumenschlichen, zum banalen Alltag, dessen verborgene Skurrilität die Domäne von Stand-Up-Comedians wie Sarah Kendall ist. Die junge, schnelle, schlaue Australierin nimmt alles auf, was aus dem Publikum kommt, baut es in ihre Performance ein und greift immer wieder und in immer neuen Variationen auf Einwürfe zurück.

Ihr Autritt ist ein Glanzlicht an diesem ersten Festivalwochende, das ansonsten konzeptlos wirkt. Bunt und abwechslungsreich und für jeden etwas, ja. Aber wäre es nicht schöner gewesen, hinter den Kalauersalven, Wortmeldungen und Lesungen eine klare Linie zu erkennen? So folgte nur eines dem anderen, als hätte man durch die Kanäle gezappt.

Daneben verbreitet kaltes Scheinwerferlicht in der Großen Arena gepflegte Turnhallenatmosphäre. Vor allem Leute wie Spider, den man sonst auf engen Lesebühnen antrifft und dessen schmale Alltagsprosa nur dort zur Geltung kommt, wirken hier ihrer natürlichen Umgebung entrissen. Das gilt auch für den unausweichlichen Wladimir Kaminer. Dessen Erscheinen im Tempodrom blieb rätselhaft, ist er doch jede Woche in einer passenderen Berliner Lokalität zu sehen.

Zum Schluss ein Gedicht. F.W. Bernstein trägt im „Studio“ Lyrisches vor. Als manche Besucher bemerken, dass es sich um Verse handelt, verlassen sie fluchtartig den Raum. Auch wir begeben uns bald wieder in den Regen, der uns nun gar nicht mehr so schrecklich dünkt.

Maulhelden-Festival, wieder am 23. und 24. Januar im Tempodrom, 19 Uhr.

Tobias Lehmkuhl

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