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Kultur: Über viele Brücken muss man gehen

KUNST

Zu schwungvollen Ornamenten ist das Blattwerk in den Bäumen geronnen. Ernst Ludwig Kirchners Farbholzschnitt „Waldfriedhof“ von 1933 gehört zu seiner letzten Werkphase in Davos. Fünf Jahre vor seinem Selbstmord war der einstmals führende Kopf der „Brücke“-Künstler nicht mehr der Wilde, der Künstler der aufbrausenden Gesten. Obwohl ihn in dieser Schublade auch Kunstwissenschaftler immer gern sahen. Dass sich das komplexe Schaffen des Expressionisten par exellence nicht so leicht etikettieren lässt, belegt eindrucksvoll die Ausstellung Im Zentrum Ernst Ludwig Kirchner im Brücke-Museum (bis 4. Januar, Mi-Mo 11-17 Uhr). Zu sehen sind allein über sechzig Arbeiten von Kirchner selbst. Wobei der Leihgeber Werner Blohm seine Hamburger Sammlung nach überlieferten Maßgaben des großen Selbstinszenators Kirchner zusammengestellt hat. Entsprechend stehen im Vordergrund die Zeichnungen: Nervöses wie die Berliner Stadtansichten, Anmutiges wie das Pastell „Blaue Artisten“ von 1914. Dass Kircher die Holzschnitttechnik wiederentdeckt und perfekt beherrscht hat, belegt ein wie aus dem Bergmassiv des Hintergrunds gehauenes Portrait Henry van de Veldes (1917). Vereinzelte Gemälde runden die Sammlung ab. „Erna am Meer“ (1913) ragt heraus, es war bisher selten zu sehen. In diesem „Urlaubsbild“ dominiert harter Blau-Rot-Kontrast und ein spitzwinkliger, engschraffierter Pinselstil – typisch für Kirchners Berliner Jahre. Für den Rest der etwas ausufernden Sammlungspräsentation hätte man sich einige Eingriffe der Kuratorin gewünscht. Dass „Brücke“-Kollegen wie Erich Heckel und Max Pechstein Platz eingeräumt wird, erscheint sinnvoll. Aber zwei neu-sachliche Gemälde Carl Hofers fallen ebenso aus dem Rahmen wie die monolithische Melancholie Edward Munchs.

Jens Hinrichsen

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