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Kultur: Überleben ist alles

Das Dasein als Fiktion: Die wundersame Welt des polnischen Erzählers Jan Himilsbach

Mit der Wahrheit über Jan Himilsbach ist es so eine Sache. Das fängt schon mit dem Geburtsdatum an: 31. November 1931 steht in der Taufurkunde des berühmten polnischen Schauspielers und Schriftstellers geschrieben – ein Datum, das nicht existiert. Doch auch Jan Himilsbach, den jedes polnische Kind aus dem Film „Die Dampferfahrt“ (1970) von Marek Piwowski kennt, hat wenig unternommen, Klarheit in seine Biografie zu bringen. Im Gegenteil. Mal behauptete der in Minsk-Mazowiecki geborene Sohn einer aus Sibirien eingewanderten Russin, sein Vater sei ein 1917 (14 Jahre vor Himilsbachs Geburt!) verstorbener deutscher Kaufmann gewesen, mal erzählte er, er habe einen „kollektiven Vater“ gehabt, das „vor dem Zweiten Weltkrieg in Minsk-Mazowiecki beheimatete 7. Regiment der Ulanen“.

Auf der Suche nach seiner Identität und seinem Platz im Leben probierte Jan Himilsbach Biografievarianten an wie andere Leute neue Kleider. Und bediente sich dabei eines perfekten Ablenkungsmanövers. Denn neben allem Vergnügen, das ihm diese Schwindeleien bereiteten, waren die zahllosen Geschichten, die über Jan Himilsbach bis heute kursieren, das perfekte Versteck für die Verletzungen eines Menschen, der zu früh hatte erwachsen werden müssen.

In seinen wunderbar dichten Erzählungen jedoch, die nahe an der eigenen Biografie entlanggeschrieben und gerade in der ausgezeichneten Übersetzung von Martin Sander erschienen sind, lässt er uns ein in „Die Welt des Jan Himilsbach“: die Kindheit in der untersten Unterschicht von Minsk-Mazowiecki; den frühen Tod der Mutter 1942, als er 11 Jahre alt war, und die Kriegsjahre als Vollwaise, ganz auf sich gestellt, untergebracht bei einer Freundin der Mutter, die ihn zum Stehlen auf die Straße schickte und abends nur einließ, wenn er Ware mitbrachte. Jeden Moment musste der Junge damit rechnen, als Straßenkind, Dieb und getaufter Jude ans Messer geliefert zu werden. Später dann der Beruf des Steinmetz, den er in einer Besserungsanstalt für Schwererziehbare erlernte; die Arbeit als Heizer in der Binnenschiffahrt; die ersten Schritte als Schriftsteller, als ihm vom Warschauer Arbeitskreis für junge Autoren ein Stipendium für den Kauf von Socken, Schlafanzug und Hausschuhen zugesprochen wurde.

Jan Himilsbachs Figuren sind wie er selbst: zähe, gewiefte Überlebenskünstler, raubeinige Gesellen mit sorgsam versteckter Warmherzigkeit, trockenem Humor und einem untrüglichen Gespür fürs Groteske. Wie in der Erzählung „Zirkus“, in der Jan Himilsbach von dem Pogrom berichtet, das 1936 im 40 Kilometer östlich von Warschau gelegenen Minsk-Mazowiecki stattfand und auf das er erst ganz am Ende, nach zwei beeindruckenden Schleifen, in denen er zunächst die allabendlichen Vorstellungen des gerade im Städtchen gastierenden Zirkus sowie den Aufmarsch der örtlichen Kavalleriedivision zur sonntäglichen Parade Punkt zwölf Uhr nach dem Hochamt auf dem Ringplatz eingehend beschreibt, um dann fast beiläufig auf das schreckliche Ereignis zu sprechen zu kommen.

Ursache des Pogroms ist bei Jan Himilsbach nicht die Politik, sondern eine tragikomische Verkettung von Umständen: Wären die Zirkusleute nicht „auf ein balkonartiges Gerüst über dem Zirkustor“ geklettert, „um das seltene Schauspiel besser sehen zu können“, und hätten sich ferner die sechs Zirkusliliputaner oben nicht so nahe wie möglich an die Balustrade gedrängt, wäre nichts passiert. Hätten sie durch ihre Unvorsichtigkeit nicht das Gerüst zum Einsturz gebracht, so dass alle Zirkusleute sich in einem schreienden Knäuel auf dem Kopfsteinpflaster des Ringplatzes wiederfanden, und hätte der Oberst diesen Krawall nicht als Beleidigung seiner Truppe angesehen, wäre alles in Ordnung gewesen. So aber ritt der Oberst auf den Menschenkörper los, schlug mit der stumpfen Seite seines Säbels auf die Menge ein, und am selben Abend lag bereits eine gewaltige Schlägerei in der Luft: Die Dinge nahmen ihren Lauf.

Nicht nur für absurde Alltagssituationen, auch für Missklänge und Feindseligkeiten hat Jan Himilsbach eine feine Antenne, etwa für die Mauer aus Ablehnung, auf die ein alleinstehender hungriger jüdischer Junge in der Erzählung „Unsere Straße“ stößt, den die Menge ungerührt wie einen räudigen Hund zum Abschuss durch die Polizei freigibt. Eine Erzählung von nur vier Seiten Länge, aber von einer Intensität und Dichte, dass es nicht verwundert, dass gerade sie verfilmt wurde. Genauso wie seine Erzählungen „Trugbild“ und „Pfuscherei“.

Berühmt wurde Jan Himilsbach durch das Kino, durch die Auftritte, die der charismatische polnische Spencer Tracy mit der Reibeisenstimme als Laienschauspieler in 69 Filmen hatte. Berühmt war er auch durch die Gesellschaft aus Ganoven, Nutten und Künstlerbohème, in der er sich bewegte, durch sein Leben außerhalb der sozialistischen Kollektivgesellschaft, durch die ständigen Unterbrechungen seiner Alkoholabstinenz, durch die Schwänke, die über ihn im Umlauf waren. Die Menschen liebten ihn, weil er stets seinem Charakter treu blieb und sich nicht verbiegen ließ, weil er von ganz unten kam, ein Star war und doch nie einen Zloty in der Tasche hatte.

Der Erzähler Jan Himilsbach ist über den großen Erfolg im Kino und seinen frühen Tod 1988 ein wenig in Vergessenheit geraten. Zu Unrecht. Jan Himilsbach ist ein Meister des ersten Satzes. Er hat eine unnachahmliche Sprache voll überraschender, neuer Ausdrucksweisen. Und seine Erzählungen sind von jener schwer zu erreichenden Einfachheit, die voller Tiefe und Erkenntnis über das Leben steckt. Hätte Jan Himilsbach nur die Erzählung „Jüdisches Duell“ hinterlassen, in der einer schonungslos und ungeschützt die Essenz des eigenen Lebens vor uns ausbreitet, er wäre allein schon deshalb ein großartiger Erzähler – ganz abgesehen davon, dass Jan Himilsbach in dieser Geschichte die Wahrheit über sich und sein Leben versteckt hat.

Die Welt des Jan Himilsbach. Erzählungen. Hg. und aus dem Polnischen übersetzt von Martin Sander. dtv premium. München 2006. 197 Seiten, 14,50 €. In Berlin, Düsseldorf und Leipzig findet noch bis zum 2. Dezember ein Himilsbach-Festival statt. Mehr unter www.phoenixeuropa.eu.

Katharina Narbutovic

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