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Kultur: Überm Abgrund tanzen, lächeln, leben

Yasmina Rezas „Ein spanisches Stück“ in Paris – und eine Begegnung mit der erfolgreichsten Dramatikerin der Gegenwart

Das kommt uns spanisch vor. Eine rot ausgemalte Bar mit einem schwarzen Osborne–Stier an der Wand, eine schäbige Spiel-Hölle, vielleicht auch eine Mischung aus Kantine und Garderobe. Der Tresen, ein rotes Sofa, am Boden ein Haufen Schuhe, high heels, und in dieser Szenerie ein sehr großer Mann im schwarzen Anzug mit schwarzöliger Klatschfrisur, der einer älteren Dame im kleinen Feuerroten erzählt, dass er eigentlich von der Literatur und Philosophie herkomme, aber Hausverwalter sei: König und Depp (Immobilienhai, Handwerkerhering) von Eigentumswohnanlagen. Und dazu ist er der neue Geliebte der älteren kleinen Dame. Señor Fernan und Señora Pilar.

Mama, dein Geliebter! Das findet Aurelia, die Tochter von Señora Pilar, ganz lächerlich. Aurelia ist Schauspielerin, eine, die gerne lustige Sachen spielt, aber mit einem trinkenden Mathematiklehrer verheiratet ist und in einem recht traurigen bulgarischen Stück eine Klavierlehrerin spielt, die insgeheim einen verheirateten Mann liebt, der ihr unbegabtester Schüler ist. Ihre Schwester wiederum, Nuria, hat wohl gerade etwas mit einem Hollywoodstar und ist selber eine Filmgröße, die mit dem Amerikaner nun zur Verleihung der „Goyas“ auf den spanischen Filmball will – in einem Kleid, zu dem ihr Schwager, der süffelnde Mathelehrer („Kaum spricht einer mal Klartext, schon ist er betrunken!“) meint: „dass eine Frau, die in diesem Kleid auf ein Fest geht, den Kummer vorwegnimmt oder ihn herbeisehnt.“

Wir sind bei Yasmina Reza. Hier tanzt die Melancholie mit ihrer helleren, leichteren Schwester, bonjour tristesse, grüßt lächelnd die Komödie. „Ein spanisches Stück“ heißt Rezas neues Stück, soeben in Paris uraufgeführt von Luc Bondy, und wohl ihr nächster, kommender Welterfolg. Hier tanzen Anton Tschechow und Pedro Almodóvar zu einer heißblütig seelenschweren Melodie. Das kommt uns spanisch vor. Und russisch dazu.

„Dieses ,Spanische Stück’“, sagt Yasmina Reza, „hat sich tatsächlich wie eine Matrjoschka-Puppe in der Puppe entwickelt. Obwohl man immer denkt, dass meine Texte so planvoll komponiert sind, weiß ich nie im voraus, wo ich mit meinen Figuren landen werde. Ich wusste diesmal nur, dass ich etwas über Schauspieler schreiben wollte. Ein Stück über das Theater – als Ersatz, als Vergrößerung oder Verfehlung des Lebens. Und es sollte für Luc Bondy sein.“

Luc Bondy hatte 2000 in Wien Yasmina Rezas Doppelpaar-Triptychon „Dreimal Leben“ mit Susanne Lothar und Ulrich Mühe, mit Andrea Clausen und Sven-Eric Bechtolf uraufgeführt. Eine phänomenale Inszenierung, fast noch besser als Rezas legendäre „Kunst“ fünf Jahre zuvor an der Berliner Schaubühne (mit Samel, Simonischek und Wameling, dem Trio triumphal).

Seit der Wiener Sternstunde ist die Pariser Autorin von dem Schweizer Regisseur bezaubert, obwohl das ihren professionellen Blick nicht trübt. Schließlich hat sie in ihren Stücken schon Spieler wie Alan Bates und Michael Gambon, Roman Polanski, Jeanne Moreau und Michel Piccoli, Jean-Louis Trintignant und Albert Finney erlebt. Seit „Kunst“, der von Berlin bis zum Broadway, von Paris bis Tokio, von Rio bis Hanoi gespielten Bilder-Männer-Freundschaftskomödie, ist Yasmina Reza die erfolgreichste Dramatikerin der Welt – und dazu auch eine raffiniert leichthändig über Herzsprünge und Kopfstände, Tod und Liebe schreibende Erzählerin („Hammerklavier“, „Eine Verzweiflung“). Ihr dritter, gerade in Frankreich veröffentlichter Roman „Adam Haberberg“ wird im Herbst bei Hanser auf Deutsch erscheinen. „Die Geschichte eines deprimierten Schriftstellers, der an einem Regenabend zufällig eine alte Schulfreundin wiedertrifft“, sagt Yasmina Reza mit einem ernsten Lächeln, und von niemandem anderen, denken wir, möchte man sich diese vermeintlich tausendmal gehörte Geschichte noch einmal wie neu, wie nie gedacht erzählen lassen.

Die Pariser Tochter einer Budapester Geigerin und eines in Moskau gebürtigen jüdischen Kaufmanns mit den Wurzeln in Samarkand ist heute 46; sie wirkt noch immer mädchenhaft, sehr schlank, fragil, doch das schwermütig verträumte Lächeln und die dunkel umflorten Augen sind in Wirklichkeit viel herzlicher, fester, ungezierter als auf ihren Fotos. Keine Diva und keine späte Romantikerin.

Schon vor der verabredeten Zeit sitzt sie in einem diskret verschlingenden Fauteuil in der von Skulpturen à la Picasso und Miró gesäumten Art-déco-Halle des Pariser Grand Hotels Lutetia. Für berufliche Verabredungen ist das Yasmina Rezas Lieblingsort, seit sie hier im Universitäts- und Intellektuellenviertel St.-Germain vor einiger Zeit aus ihrer charmant poststudentischen Altbauwohnung in ein größeres, unprätentiös schickes Quartier gezogen ist: „Weil die beiden Kinder mehr Platz brauchten.“ Jetzt wohnt sie fast um die Ecke des „Lutetia“.

Aber das Hotel am Boulevard Raspail ist nicht nur praktisch und luxuriös, es hat auch eine Geschichte. Es war während der deutschen Besatzung der Sitz der Gestapo , in den Kellern wurde gefoltert – zu der Zeit, als Yasminas Vater im Lager Drancy interniert war und der Deportation nur entging, weil man den Emigranten, der als Kind nach der Russischen Revolution über Berlin nach Paris gelangt war, des orientalischen Namens Reza wegen für einen Moslem hielt. Nach dem Krieg diente das „Lutetia“ dann eine Weile als Sammelstelle für die Opfer von einst, für die aus den Konzentrationslagern Entlassenen. Die Pracht heute – und darunter der Schrecken, die Schatten fliehender Erinnerung: ein Ort für diese Schriftstellerin.

Auch in den Fundamenten der lichten Bürgerhäuser und luftigen Bürgerseelen lauern bei Reza die Gespenster des Trugs und einer Untröstlichkeit, die Heinrich Böll einmal das ästhetische (und ethische) Gegenteil der Trostlosigkeit nannte. Es ist ein Unterton, den man hören muss. In ihrem frühen, noch immer zu entdeckenden Stück „Jascha“ trifft sich eine jüdische Familie Großbürgerfamilie am Genfer See zu einem Konzert von Jascha, einem gefeierten, mehr zum Liebhaben als zum Liebegeben fähigen Cellisten. Als ihn seine halbheimliche Freundin, begleitet von ihrem scheuen Ehemann, kurz vor dem Konzert zurückweist, beginnt er sich zu betrinken. Doch das Konzert gelingt – und Jaschas Vater Joseph, der bei seinem erfolgreichen Sohn zuletzt nur einen seelenlosen Schönklang vernommen hatte, lobt ihn zum ersten Mal: „Du hast gespielt wie ein echter Jude.“ Der säkulare, sarkastische Sohn wirkt verwundert. Und Joseph sagt: „Ja. Du hast aus der Ferne gespielt.“

Immer wieder sind es solch subtile, psychologisch-musikalische Töne, für die manche Theatermacher und Kritiker in Frankreich und Deutschland (die Postbrechtmüller-Fraktion) kein Ohr oder Auge haben und Reza darum unter „Boulevard“-Verdacht stellen. Auch jetzt bei der Uraufführung von „Une pièce espagnole“, dem „Spanischen Stück“, jubelte die Pariser Presse fast nur über Luc Bondys Inszenierung. Diesmal sogar ein doppeltes Missverständnis.

Bereits in „Dreimal Leben“, das eine Geschichte in drei Versionen, Hypothesen, Perspektiven erzählt, hat Yasmina Reza so etwas wie eine kubistische Komödie erfunden. Jetzt ist sie in ihrem „Spanischen Stück“ noch einmal weiter gegangen. In dieser pirandellohaften Komposition, bei der fünf Personen als Schauspieler einen „spanischen“ Autor und ihren französischen (deutschen oder was auch immer) Regisseur suchen, werden die kunstvoll verschachtelten Stück-im-Stück- Szenen noch durch eingeblendete Monologe (imaginäre „Interviews“ der Spieler) kontrastiert. Adressaten sind dabei auch Rezas Publikum – und ihre Kritiker.

Das ist riskant, raffiniert und ein bisschen radikaler, als es in Luc Bondys vom Pariser Publikum enthusiastisch applaudierter Aufführung erscheint. Natürlich hat Bondy auch hier, im Théâtre de la Madeleine, einer schmucken Gründerzeitbühne mit Rängen und Logen, ein paar schöne Einfälle. Da ist mal eine Handbewegung, eine in Gilles Aillauds blutrotem Raum verwehende Sehnsuchtsgeste, oder es sind die beim Dialog des Hausverwalters Fernan und seiner alten neuen Geliebten Pilar wie nebenbei immer wieder zu Boden fallende Mokkalöffelchen. Doch das Spiel mit dem Boulevardesken kippt, und wer die Aufführung zwei Wochen nach der Premiere sieht, glaubt sich, wenn Yasmina Rezas Text nicht wäre, tatsächlich auf dem Boulevard.

Untermalt von albernen Flamenco-Nummern, wird hier für Bondy-Kenner unglaublich laut und grob wird agiert, selbst die sonst wunderbare Theater- und Filmschauspielerin Bulle Ogier schallt als Señora Pilar den ganzen Abend im selben offiziösen Aufsageton, und ihr Geliebter Fernan, eine tiefe Seele von Mann, wird in Thierry Fortineaus lackaffiger Aufmachung mit nölig meckernder Stimme zur reinen Oberfläche. Auch von Marianne Denicourts als Filmstar Nuria bleiben nur die langen Beine im Minirock im Gedächtnis, und Dominique Remonds Aurelia alias Fräulein Wurtz, die bulgarische Klavierlehrerin, steigt eigens auf den Bartresen, um ihrem unbegabten, begehrten Schüler zum Schluss das eigentlich intime, untröstlich tschechowhafte Geständnis zu machen: „Haben Sie keine Angst, ich will nicht geliebt werden. Nicht in der Wirklichkeit.“

So passiert als unfreiwillige Ironie der Geschichte genau das, was der Schauspieler des trinkenden Lehrers (André Marcon) im Stück selbst beschwört. Beschwört mit dem zitierten Furor eines Thomas Bernhard, den Yasmina Reza neben Marguerite Duras, Botho Strauß (und natürlich Tschechow) besonders schätzt: Schauspieler seien keine Künstler, wenn sie „um jeden Preis gefallen wollen“; darum sei das Publikum des Schauspielers „schlimmster Feind“.

Yasmina Reza war einst selber Schauspielerin. Sie liebt das Metier, aber fühlt sich als Schriftstellerin doch befreit von der Allmacht der Regisseure und den Launen des Publikums. Allerdings verteidigt sie Luc Bondys Aufführung gegen den Vorwurf der Gefallsucht: „Diesen Einwand machen auch einige meiner Freunde.“ Freunde übrigens, die sie in ihrem Privatleben lieber außerhalb des Theaters sucht. „Aber ich vertraue Luc und seiner sinnlichen Fähigkeit, aus meinen Phantomen leibhaftige Menschen zu machen. Natürlich ist es seine Vision des Stücks, nicht in allem meine eigene oder die möglicher anderer Regisseure. Es sind gewiss ganz andere Interpretationen denkbar. Ich freue mich ja, wenn eine Aufführung noch nicht das letzte Wort über ein Stück gesprochen hat.“

Wer dazu das erste Wort in Deutschland hat, steht noch nicht fest. Zwischen Hamburg, Bochum, München und vielleicht auch Berlin wird die Erstaufführung verhandelt. Bondy selbst möchte das „Spanische Stück“ am liebsten nochmals in London inszenieren, und die nächste Premiere ist in Warschau. Dort hofft der Regisseur Krystian Lupa , so hat er es Yasmina Reza vor ein paar Tagen im Hotel Lutetia erzählt, dass seine Schauspieler das reale Publikum „ganz vergessen“. Um es doch zu treffen. Das kommt uns dann vielleicht polnisch vor, in dieser französisch-spanisch-bulgarischen Weltkomödie.

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