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Das Gefängnis war seine Akademie. Feryad Fazil Omar.

© Leon Holly

Der kurdische Autor Feryad Fazil Omar: Er entdeckte seine Liebe zur Kultur im Gefängnis

Feryad Fazil Omar wurde im Irak verfolgt. Seit vierzig Jahren lebt er in Berlin. Seine Mission ist es, die Literatur seiner Heimat zu erhalten. Eine Begegnung.

Das verlorene Auge, der Schnitt an seinem Bauch. Feryad Fazil Omars Narben bezeugen seinen Leidensweg, der eng mit der Unterdrückung eines ganzen Volkes verknüpft ist.

Im Institut für Kurdische Studien in Berlin-Lankwitz beginnt dessen Gründer mit vernehmbarem Akzent und klarer Betonung zu erzählen von seiner Studienzeit im Bagdad der 1970er Jahre, seiner Lehrtätigkeit in Sulaimaniyya, der kulturellen Metropole des kurdischen Nordirak, und von der Übersiedlung nach Berlin im Jahre 1978.

Hier in Deutschland treibt Omar eine Mission: die kurdische Kultur, Literatur und Sprache bekannt zu machen. Seit 1982 unterrichtet Omar an der Freien Universität Berlin, er schrieb acht Gedichtbände, übersetzte Epen der kurdischen Dichter Ehmedê Xanî und Abdullah Goran und gab mehrere Wörterbücher heraus, verfasst mit einer „literarischen Seele“, wie er sagt.

Der 69-Jährige hatte ursprünglich nicht geplant, wissenschaftlich zu arbeiten, doch da es an grundlegenden Unterrichtsmaterialien fehlte, verschwor er sich der Aufgabe.

„Ich bin stolz, mehr als 200 000 Wörter vom Kurdischen ins Deutsche und umgekehrt übersetzt zu haben. Als 1992 der erste Band Kurdisch-Deutsch erschien, erhielt ich Drohbriefe, in denen man mir vorwarf, ich erfände eine Sprache, die in der Türkei nicht existiert.“

Die kurdische Frage ist nicht mit Gewalt zu lösen

Wenn Omar für die Erhaltung der kurdischen Kultur arbeitet, schreibt er indirekt auch gegen ihr Verblassen. Immer wieder versuchten persische, osmanische, mesopotamische Machthaber, die kurdischen Minderheiten kulturell zu assimilieren, ihre Sprache zu verbieten oder sie ethnisch zu vernichten.

Man füge noch die europäischen Imperialmächte hinzu: Als Mark Sykes und François Georges-Picot die Grenzen des zerfallenden Osmanischen Reiches am Reißbrett neu zeichneten, übergingen sie die Kurden.

Bei Verhandlungen mit Atatürks neuer Regierung in Lausanne im Jahre 1923 gab der britische Außenminister Lord Curzon schließlich das verstümmelte Gebiet in Südostanatolien auf, das den Kurden zuvor im Vertrag von Sèvres zugestanden worden war.

Wenn jetzt türkische Bomben und Artillerie im kurdischen Nordsyrien einschlagen, die türkische Armee zusammen mit Söldnertruppen der Syrischen Nationalarmee in die Städte Tel Abyad und Ras al Ayn einmarschiert, sieht Omar darin eine Fortsetzung einer türkischen Politik, die beinahe ein Jahrhundert andauert: „Seit 1923 versucht die türkische Regierung, die Kurden in der Türkei auszulöschen. Die kurdische Frage ist eine politische Frage, die nicht gewaltsam zu lösen ist. Diese aktuelle Aggression bringt nur weiteres Unheil.“

Repressionen erlebte Omar schon in seiner Jugend. In der Schule schlug der Lehrer die Kinder, wenn sie statt Arabisch Kurdisch sprachen. 1966 verhaftete die Polizei seinen Onkel und seinen Vater, da sie angeblich gegen das nationalistische Regime in Bagdad politisch aktiv waren.

Auch Omar warfen sie im Alter von 16 Jahren unschuldig ins Gefängnis, wie er erzählt: „Die Gefängniswärter folterten mich, wodurch ich mein rechtes Auge verlor. Sie wollten, dass ich gegen meine Verwandten aussage. Doch wir waren so erzogen, dass wir lieber gestorben wären, als jemanden zu verraten. Bis heute frage ich mich, wie man einen Jungen so quälen kann?“

Die ironische Wendung: Das halbe Jahr, das er zwischen den düsteren Gefängnismauern verbrachte, entfachte in Omar eine Liebe zur Kultur.

Seine erste Akademie war das Gefängnis

Nachdem er die Folter überlebt hatte, fand er schnell heraus, dass die klügsten Köpfe des Landes in den Zellen einsaßen, Lehrer, Musiker, Schriftsteller, Schauspieler, die ihn unterrichteten und ihm Arabisch-Nachhilfe für seine Abschlussprüfung gaben.

„Meine erste Akademie war das Gefängnis. Ich bin stolz auf die Männer, die mir dort einen Weg gezeigt haben.“

In Feryad Fazil Omars eigenen Werken finden sich viele Motive, die an diese Episode seines Lebens erinnern, wie etwa in dem Gedicht "Schönheit", das 1993 im Band „Leuchten aus der Stimme“ erschienen ist.

„Du bist schön ... / Du bist schöner als alles / Du bist in den finsteren Nächten / Licht / Du bist das Lied des Kerkers / Das Wächter und Fesseln / Aus dem Gefängnis / Verbannt.“

Teils spielen seine Gedichte in Berlin

Romantische Motive kehren wieder in den Gedichten des Mannes, der Goethe, Schiller, Rilke, Heine und Brecht kannte, noch bevor er nach Deutschland kam.

Wie für kurdische Dichtungen typisch, greift er in seinen Gedichten gerne scheinbar widersinnige Bilder auf, um sie zu einer grandiosen Metapher zu vereinen, zum Beispiel ein Minarett, das schmilzt, oder die eigenen Schmerzen im Exil, die sich in Zaunwinden verwandeln und die Wände emporklettern.

Seine Erfahrungen und Sorgen in der Diaspora und die Erinnerungen an die Heimat verarbeitet er in vielen Gedichten, die teils auch Berlin als Schauplatz haben. „Ich habe meine eigene Literatur selbst ins Deutsche übersetzt. Das ist etwas, das man eigentlich gar nicht machen darf“, gesteht er.

Doch Kollegen rieten ihm, nicht auf den nächsten Literaten zu warten, der irgendwann kommen möge.

Zwei junge Menschen und eine Liebe

Übersetzt hat der Schriftsteller neben der modernen Lyrik Abdullah Gorans auch das wohl wichtigste Werk der kurdischen Literatur, das Epos „Mem û Zîn“ (Mädchen und Junge) aus dem 17. Jahrhundert. Die Verbreitung von Ehmedê Xanîs Schrift war im Nahen Osten vielerorts verboten, doch die Kurden gaben die Zeilen mündlich weiter.

Von Orientalisten im 19. Jahrhundert nach Europa gebracht, lag dennoch lange keine korrekte deutsche Fassung vor. Omar schmunzelt: „Mir scheint Ehmedê Xanî zwar ein glücklicher Dichter der kurdischen Literatur, weil er viel zitiert wurde, aber ein unglücklicher Dichter, da er falsch zitiert wurde.“

Xanî greift ein romantisches Leitmotiv auf: zwei junge Menschen und eine Liebe, die nicht sein soll. Außergewöhnlich ist, dass Xanîs Geschlechterbild auffallend egalitär ist und er nach der obligatorischen Huldigung Allahs und des Propheten zu Beginn des Werkes schreibt: „Doch über Gottes Weisheit wundere ich mich. / Dass er in dieser weiten Welt allein die Kurden / So unterdrückt und auch so elend bleiben ließ, / Denn warum sind sie alle Knechte nur geblieben!“

Kurdische Literatur als Weltliteratur

Ein erstaunliches Wagnis, sich als muslimischer Gelehrter zur damaligen Zeit so über Gott zu äußern, findet Omar. Ihm ist es wichtig, mithilfe der Lyrik und der Sprache das Verständnis zwischen Orient und Okzident zu verbessern, denn diese Kulturen, so sagt Omar, lassen sich nicht getrennt denken.

„Es ist ein Geben und Nehmen. Schauen Sie auf Goethe, der kannte Hafiz und die persische Dichtung, die er zu schätzen wusste.“

Seine Fortschritte in den beinahe vierzig Jahren, die er nun schon in Berlin arbeitet, sind bedeutend: „Als ich 1982 an der Freien Universität angefangen habe, den Schwerpunkt Kurdische Studien einzurichten, da hatten wir auf Deutsch weder ein Wörterbuch noch ein Grammatikbuch noch ein Lehrbuch. Heute haben wir alles davon mehrfach und können klassische und moderne kurdische Literatur auf Deutsch präsentieren."

Omars Narben mögen auf Lebzeiten von seinem individuellen Leiden sprechen, das nicht von der Geschichte des kurdischen Volkes zu trennen ist. Sein Schaffen aber zeugt von der beständigen Liebe zur eigenen Sprache und Kultur. Omar stellt seine Arbeit dieser Tage in Wien und London vor. „Mem û Zîn“ hat er auch ins Englische übersetzt. Kurdische Literatur als Weltliteratur.

Leon Holly

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