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Juri Andruchowytsch, Manfred Sapper und Adam Michnik am Dienstag, 13. 5. in der Volksbühne

© Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde e.V./ Joanna Jurkiewicz

Ukraine-Streitgespräch in der Volksbühne: Ist der Osten verloren?

Der Maidan, Europa und Putin: Ein Volksbühnen-Gespräch zwischen Juri Andruchowytsch und Adam Michnik über die jüngsten Entwicklungen in der Ukraine.

Wenn es dieser Tage in Gesprächen und Artikeln um die Turbulenzen in der Ukraine geht, ist häufig von einer Zweiteilung des Landes in West und Ost die Rede, einer angeblich historisch begründeten zumal. Hier der nach Europa drängende Westen des Landes, dort der russisch orientierte Osten. Seit Beginn der revolutionären Entwicklung in der Ukraine in den späten Novembertagen des vergangenen Jahres wiederholt der ukrainische Schriftsteller und Essayist Juri Andruchowytsch gebetsmühlenartig, dass dem nicht so ist, und dass auch nicht nur in der ukrainischen Hauptstadt Kiew die Leute gegen Janukowitsch und für Europa auf die Straße gegangen sind, sondern genauso in vielen Städten im Osten des Landes, zum Beispiel Charkiw, Donezk oder Saporishja.

Als Juri Andruchowytsch am Dienstagabend in der Volksbühne mit Adam Michnik, dem Herausgeber der linksliberalen polnischen Tageszeitung „Gazeta Wyborcza“, über die Situation in der Ukraine spricht, bildet diese vermeintliche West-Ost-Teilung eine Art Klammer seiner Aussagen. Zu Beginn liest Andruchowytsch einen kurzen Abschnitt aus einem Essay, den er schon im Jahr 1999 geschrieben hat, „Desinformation“. Diesem ist zu entnehmen, dass er sich schon damals gegen diese Einschätzung wandte, dass man nicht von zwei Ukrainen sprechen könne und der Zerfall der Sowjetunion nicht automatisch der Zerfall der Ukraine gewesen sei.

"Es gibt nur noch die Ukraine und den Donbass", sagt Andruchowytsch

Deutlich nüchterner allerdings, um nicht zu sagen: leicht resigniert beurteilt Andruchowytsch die jüngsten Entwicklungen in der Ostukraine nach den umstrittenen Referenden vom vergangenen Wochenende. Als er von Manfred Sapper, dem Chefredakteur der Zeitschrift „Osteuropa“ und Moderator des Geprächs am Ende nach Zukunftszenarien gefragt wird, antwortet der 1960 im westukrainischen Iwano-Frankiwsk geborene Schriftsteller: „Der Osten ist verloren“. Die Regionen Donezk und Lugansk seien inzwischen zu fest in der Hand der Separatisten, „ach was, Separatisten, das ist ein viel zu schönes Wort. Kriminelle sind das, die sich anscheinend auch untereinander schon heftig bekämpfen“.

Es ist ambivalent, was für Andruchowytsch aus diesem Szenario resultiert. Einerseits fragt er sich, was die Russen mit diesen Regionen wollen, mit dem sogenannten Donbass? Der sei zwar das Industriegebiet des ukrainischen Südostens, hänge jedoch stark von Subventionen ab und habe den höchsten Prozentsatz „an Rentnern, Depressiven und Drogenabhängigen“. Andererseits glaubt der Schriftsteller, dass Putin mit seinem aggressiven Vorgehen in jedem Fall „die Restukraine vereinigt“ habe: „Es gibt keine West- und keine Ostukraine, es gibt nurmehr die Ukraine und den Donbass.“

Der sehr gut Deutsch sprechende Juri Andruchowytsch übernimmt an diesem Abend allein qua Herkunft den Part desjenigen, der „ein Auge auf die Ukraine“ hat, so wie die Veranstaltung im gut gefüllten großen Saal der Volksbühne übertitelt worden war. Das andere Auge gehört dann natürlich Adam Michnik, und dieses sollte primär auf Polen gerichtet sein: „Was kann der Maidan von der Solidarnosc lernen?“; „Welche Erfahrungen Polens mit Russland oder der Ukraine sollten wir kennen?“ So lauteten mögliche Fragestellungen. Michnik erwähnt zwar immer mal wieder seine Heimat und dass man dort über nichts anderes als die Ukraine rede; dass die Maidan-Demonstrationen ihn an die Streiks der Werftarbeiter 1980 in Danzig erinnert hätten; oder dass nicht einmal die größten Idioten, die größten Ukrainophobiker in Polen es wagen würden, eine Annexion der Westukraine nur anzudeuten. Doch vor allem scheint es seine Aufgabe zu sein, „den wichtigsten Protagonisten unseres Abends“ ins Visier zu nehmen, Wladimir Putin. Adam Michnik, der sich als „russophil, aber antisowjetisch“ bezeichnet, analysiert zunächst Putins Vorgehen in der Ukraine als Ablenkung von innenpolitischen Konflikten, indem er Spannungen außerhalb Russlands entfache. Der Maidan sei ein reales Gespenst im Kreml gewesen, „davor hatten die große Angst“. 30 Jahre lang, so Michnik, sei die russische Außenpolitik vorhersehbar gewesen, damit habe es nun ein Ende, Putin verändere die gesamte Geopolitik: „Sotschi hat geklappt, das mit der Krim hat geklappt, nun glaubt er, ihm gelinge alles.“ Und: „Jedes Zugeständnis der europäischen Gemeinschaft wird Putin als Schwäche auslegen.“

Hat Europa den Maidan überhaupt verdient?

Deshalb müsse Europa zum einen eine genaue Diagnose stellen, so Michnik etwas sehr allgemein. Und deshalb sei die Appeasement-Politk ihm gegenüber ein großer Fehler. Auch diese Aussage führt Michnik nicht weiter aus – über den Sinn oder die Folgen von Wirtschaftssanktionen oder ein härteres, womöglich militärisches Vorgehen Russland gegenüber reden Michnik und Andruchowytsch nicht.

Es ist dies dann auch kein „Streitgespräch“, wie es angekündigt worden war. Sondern eines, das der Vertiefung der Problematik und ihrer historischen wie globalen Dimensionen dient. Juri Andruchowytsch erinnert an die Fehler nach der orangen Revolution 2004, die in der Ukraine gemacht wurden; und auch an einen Präsidenten Janukowitsch, der nach seiner 2010 tatsächlich zunächst nach Brüssel in Sachen europäischer Assoziation und danach erst zum Antrittsbesuch nach Moskau gefahren sei; Adam Michnik zieht historische Analogien und kommt mehrmals auf Hitlers Annexion der Tscheslowakei im Jahr 1938 zurück; und auch die zwiespältigen, irritierenden deutschen Reaktionen sind ein Thema: von Linken-Chef Gregor Gysi über den AfD-Politiker Alexander Gauland und den SPD-Altlinken Erhard Eppler bis hin zu Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder, die allesamt um Verständnis für die russische Position bemüht sind. „Schröder appeliert an den Westen, vernünftig zu sein“, empört sich Michnik. „Warum richtet er diesen Appell nicht an seinen Freund Putin?“. Es dürften nicht zuletzt die deutschen Reaktionen sein, die Andruchowytsch am Ende zu der Überlegung veranlassen, dass es nicht die Frage sei, ob die Ukraine Europa verdiene, sondern umgekehrt:„So viel Idealismus wie auf dem Maidan hat Europa nicht verdient.“

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