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2020 irgendwo im Donbass

© Yuriy Gurzhy

Ukrainisches Kriegstagebuch (100): Donbass in Bautzen, Frieden im Krieg

Der ukrainische Autor, DJ und Musiker Yuriy Gurzhy lebt seit 1995 in Berlin. Hier schreibt er über den Krieg in der Ukraine.

Eine Kolumne von Yuriy Gurzhy

Auf dem Weg nach Bautzen gestern habe ich lange mit Antuan gechattet. Wir überlegten, welchen Stromgenerator wir für die Charkiwer Rennbahn erwerben sollten. Auf seinem Gelände leben nicht nur Pferde, sondern auch 200 Hunde und mindestens 100 Katzen, deren Besitzer die Stadt verlassen haben.

Schon wieder Explosionen in Charkiw!

Um sie zu tränken, muss man mehrmals am Tag Wasser pumpen, und das geht nur mit Hilfe eines leistungsstarken Generators. Artem, mein guter Freund aus Uni-Zeiten, beriet uns, und nach einer kurzen Recherche fanden wir einen passenden Generator für 1049 €.  

In diesem Moment ging Antuan offline, weil er dringend in den Schutzbunker musste: Charkiw wurde wieder heftig beschossen. Ich erzählte Artem von dem Plan, meinen Geburtstag am Donnerstag als Gelegenheit zu nutzen, einen Spendenaufruf zu starten. Wir wünschten einander viel Glück, denn auch Artem sammelt gerade für ein Auto, das für eine Militäreinheit bei Charkiw benötigt wird. 

In Bautzen zuhause

Spät war es noch nicht, als ich Bautzen erreichte, aber es waren kaum Menschen draußen unterwegs. Das erinnerte mich sofort an die leeren Straßen meiner Heimatstadt vor drei Wochen, bloß dass es hier viel heller ist. Ich lief zu meiner Pension rüber und las die Nachrichten auf meinem Handy. Wie es aussah, gab es weitere Explosionen in Charkiw. Scheiße!

Heute nehme ich in Bautzen Kinder auf, die der Krieg letztes Jahr mit ihren Familien aus der Ukraine hierher verschlagen hat. Vormittags gehe ich ins Thespis Zentrum und freue mich sehr, bekannte Gesichter wiederzusehen. Erst Mitte Dezember trafen wir uns hier, um an den Songs für das Theaterstück „Die Reise ins Licht des Ozeans“ von Yana Humennaya zu arbeiten. Mit der Premiere hat’s nicht ganz geklappt, da viele junge Schauspieler*innen bei den Proben an einem fiesen Virus erkrankten. Inzwischen sind sie alle wieder fit und auf die Vorstellung gespannt, die auf Anfang Februar verlegt wurde.

Das soziotheatrale Thespis-Zentrum ist ein besonderer Ort, ein kleiner eigenständiger Planet im Zentrum von Bautzen, wo ich mich wie zu Hause fühle. Ich wundere mich nicht mehr, hier Menschen zu treffen, die ich 2020 in Mykolajiwka und Popasna kennengelernt habe. Thespis wird von dem Regisseur Georg Genoux geleitet, mit dem wir in den letzten Jahren nach Donbass gereist sind. Über seinem Tisch hängt ein Foto von Viktor Schulik, dem Direktor der Schule Nr. 1 der Stadt Popasna. Viktor empfing unser kleines Team 2020 mit offenen Armen.

Fünf Wochen dauerte unsere Donbass-Expedition. Während meine Kollegen Kurzfilme drehten, schrieb ich mit den Schülern Songs, die wir in der Aula von Viktor Schuliks Schule einsangen. Das Ergebnis unserer Zusammenarbeit hat mich umgehauen. Ich dachte, es sei der Anfang von etwas, das wir in den nächsten Jahren zusammen weiterentwickeln können. Auch diese verfluchte Pandemie wird ein Ende haben, dachte ich, dann können wir richtig loslegen, unsere Songs in anderen Städten der Ukraine live performen, Filme zeigen...

Im Oktober wurde Viktor Schulik im Kampf gegen die russischen Eindringlinge bei Bachmut tödlich verletzt. Die Schulen in Popasna und Mykolajiwka, wo wir gearbeitet haben, sind von russischen Bomben zerstört worden. Viola und Albina, die auf mehreren Songs unseres Albums „New Donbass Symphony“ zu hören sind, landeten in Bautzen. Albinas Mutter führt bei „Die Reise ins Licht des Ozeans” Regie, während ihre Großmutter in der Küche vom Thespis dafür sorgt, dass keiner der Gäste hungrig bleibt. Wir wünschen einander Frohes Neues Jahr und natürlich den Sieg.

Ukraine in Deutschland. Donbass in Bautzen. Frieden im Krieg.

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