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Rausch und Regression. Liebespaar 1970 vor einem „Ur-Elfer“-Targa. Foto: akg-Images

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Ulf Poschardt feiert Porsche 911: Im Dienst der Liebe

Ulf Poschardts Buch über den Porsche 911 - von vorn der Intellektuelle, von hinten der Rächer.

Ulf Poschardt muss geahnt haben, dass ein ganzes Buch über ein Auto, zumal über den Porsche 911, des Guten zu viel sein könnte. Ja, und dass seine psychopathologischen Züge womöglich einer Behandlung bedürfen. Deshalb hat er Rat bei einem Psychoanalytiker gesucht und sich grünes Licht geben lassen. Der beruhigt ihn nämlich sogleich, wie man im Prolog von Poschardts „911“ lesen kann: „Nein, Sie müssen sich keine Sorgen machen, weil Sie ein Auto lieben. Erst recht nicht, wenn es ein Auto mit weiblichen Rundungen, einem knackigen Hintern und einem Dekolleté ist, das sogar Autohasser milde stimmt." Rausch und Liebe hin, Regression und Symbiosesehnsüchte her – wenn die „Beobachtung der technischen Dinge gegeben“ bleibe, also kein Kontrollverlust eintrete, so der Psychoanalytiker, sei doch alles prima.

Ulf Poschardt hat sich zumindest beim Schreiben unter Kontrolle gehabt. Er vermutet zwar, dass es Leser gebe, für die sein Liebesdienst nicht nachvollziehbar sei. Er bezeichnet sein Buch einmal gar als „Kulturgeschichte einer Romanze“.

Doch bemerkenswert ist allein, dass der Porsche-Fahrer, FDP-Sympathisant und „Welt“-Journalist mit „911“ kein für Journalisten inzwischen typisches Ich-Sachbuch geschrieben hat. Wie er selbst zum Porsche gekommen ist, bleibt außen vor; auch das übertriebene Schwärmen überlässt er lieber anderen, etwa Londons Bürgermeister Boris Johnson, dem US-Komiker Jerry Seinfeld, dem Berliner Clubbetreiber Heinz „Cookie“ Giannulis oder den Schriftstellern Albert Ostermaier, Moritz Rinke und Ralf Bönt.

Poschardt dagegen hat intensiv im Porsche-Archiv recherchiert, sich lange mit dessen Chef Dieter Landenberger unterhalten und erzählt mehr noch als die Kulturgeschichte einer Romanze die eines Autos, beginnend bei den Anfängen des Unternehmens Porsche in der Nazizeit und endend mit dem jüngsten, 2011 vorgestellten Porsche-911-Modell, dem 991. Dieser gebe „von vorn den Intellektuellen und hat hinten die Maske des Rächers übergezogen. Gleichzeitig steckt in ihm ein überzeugter Grüner, denn dank der Start-Stopp-Automatik konnte der Verbrauch gesenkt werden." Und: „Für die Traditionalisten bedeutet der 991er trotz der optischen Wagnisse am Heck wie im Innern eine weitere Etappe in der Restauration des klassischen Elfertums.“

In einer Mischung aus Feuilleton und „Autor-Motor-Sport“-Schreibe hat Poschardt seine Chronik verfasst, was angenehm weit weg ist von dem philosophisch hochgestochenen Ton seines 2002 beim Merve Verlag veröffentlichten Bändchens „Über Sportwagen“. Dieses sollte damals eine Theorie des schnellen Fahrens als „Ergebnis der Valorisierung des Alltagsgegenstandes Auto und seiner Fetischisierung" sein, verlief sich aber in der gesamten europäischen Kultur- und Philosophiegeschichte.

Poschardt porträtiert den globalisierten, den grünen und den bösen Porsche

In „911“ ist Poschardt konkreter. Näher an den Emotionen, die der in diesem Jahr seinen 50. Geburtstag feiernde „Elfer“ auslöst, und an den Zeitläufen, die den 911 und seine Nachfolger geprägt haben. Von der Liebe auf den ersten Blick und überhaupt „dem ersten Mal“ über das Vererben der Leidenschaft von den Eltern auf die Kinder bis hin zum globalisierten, grünen oder auch bösen Porsche (Baader! Der Boulevard-Journalist in Bölls Roman „Die verlorene Ehre der Katharina Blum“! Jörg Haider!) reicht das Spektrum der Zugänge Poschardts zu seinem Objekt der Begierde. Auch dass der Elfer in den achtziger Jahren „die Sphäre des Gewöhnlichen“ erreichte, verschweigt Poschardt nicht, ohne Ärger im Übrigen: „Der bewusst 'Proll' Gebliebene versteht das Luxusobjekt möglicherweise besser als jene Schichten, für die der Sportwagen konstruiert war.“

Womit er nicht nur die oberen Zehntausend meint, sondern Individualisten, Hedonisten oder auch frühe Gender-Forscher wie den 2012 verstorbenen „Elfer“-Designer Ferdinand Alexander Porsche. Der hatte behauptet: „Einen typischen Porsche kann man anfassen. Er hat einen Körper. Er ist eine Sie.“ Es versteht sich bei so einem Satz, dass Poschardt den 911er für kein reines Männerauto hält, dass auch Frauen sich in ihn verliebt haben, von Jil Sander bis Anne-Sophie Mutter.

Es versteht sich aber auch bei einer Hauptfigur wie dem 911, dass technische Details hier nicht zu kurz kommen. Zumal im Verlauf der Jahrzehnte ja nicht nur an der einprägsamen Form (und der kargen Ausstattung) herummodifiziert wurde, sondern es Ende der neunziger Jahre zu einem der größten Traditionsbrüche überhaupt kam, zumindest für die Fans des sogenannten Ur-Elfers: der Umstellung von Luft- auf Wasserkühlung. Ein Frevel! Ein Seelenklau!, weiß der Traditionalist Poschardt, der in seinem Buch auch immer wieder aufopferungsvoll entlang der Grenzlinien von Tradition, Klassik und Moderne argumentiert.

Sein Buch dürfte im Sinn des (inzwischen ja die Tradition aufs Äußerste pflegenden) Unternehmens Porsche sein. Womöglich legt man in Stuttgart-Zuffenhausen demnächst jedem Porsche- 991-Käufer ein Poschardt-Exemplar neben den Kaufvertrag. Doch selbst wenn man beim Lesen irgendwann genug vom Herausstreichen der vielen Vorzüge dieses Autos hat und sich manche Redundanz einstellt, gelingt es Ulf Poschardt unterhaltsam, den Porsche 911 von einigen Klischees zu befreien: Dass er mehr ist als ein Angeber-Accessoire wie die Rolex, das Reitpferd oder die blonde, wahlweise weibliche oder männliche Begleitung auf dem Beifahrersitz; oder dass er vielleicht wirklich nicht nur etwas ist für Männer in schwerster Mittellebenskrise.

Man muss die Liebe ja nicht so weit treiben, dass sie direkt auf die Couch eines Psychoanalytikers führt. Es reicht doch schon, wenn man nach der Lektüre dieses Buches wieder so unschuldig-intensiv schaut wie ein Kind, wenn so ein Porsche 911 mal wieder neben einem an der Kreuzung steht.

Ulf Poschardt: 911. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2013. 294 Seiten, 22, 95 €

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