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Ulf Poschardt über Einsamkeit: Die neue Sozialdiät

Ulf Poschardt tröstet sich mit 200 PS und schreibt den Ratgeber zur Einsamkeit

Ulf Poschardt geht auf die vierzig zu. Beruflich hat er alles erreicht: In jungen Jahren machte er seinen Doktor im Nachtleben, mit einer Dissertation über „DJ Culture“, möbelte dann das Magazin der „Süddeutschen Zeitung“ tempomäßig auf und gab den Creative Director bei der „Welt am Sonntag“. Aber an der Spitze ist es bekanntlich einsam. Manchmal fährt Poschardt nachts allein in seinem Sportwagen durch Berlin und begegnet sich für ein paar Sekunden im Rückspiegel. „Tendenziell“, davon ist er überzeugt, „kann jedes Auto mit mehr als 200 PS einen Therapeuten ersetzen.“

Vor ein paar Jahren noch hat er seine Bücher bei Rogner & Bernhard oder Merve veröffentlicht, Verlagen mit street credibility. Poschardt war damals hip, „Cultural Studies“ und so. Heute ist er bei Kabel, dem Lebenshilfe-Verlag von Piper gelandet und redet von Eigenverantwortung und Werten. Ratgeber gibt es viele. Warum nicht auch einen über die Einsamkeit? Man kann, als ungeübter Einsamer, beim Einsamsein ja viel falsch machen. Man darf sich nicht hängen lassen, muss Initiative zeigen. Nicht wenige einsame Männer prosten sich selber in ihren Berliner Lofts mit Rotwein zu. „Sie sitzen still und leise und warten, dass die Tür aufgeht“, heißt es in Poschardts Einsamkeits-Buch. Einsamkeit geht alle an: „ Jeder ist einsam. Es gibt lediglich verschiedene Grade von Einsamkeit.“

Und sie ist keinesfalls nur problematisch. Für Poschardt bedeutet sie auch „eine Chance auf Selbstfindung und Glück. Nur wer gelernt hat, einsam zu sein, kann sich selbst finden und dann auch einen Partner fürs Leben. Anstatt Einsamkeit zu problematisieren, müssen wir lernen, sie zu verstehen und zu nutzen. Sie ist der Königsweg zu einem erfüllten Leben in Souveränität.“

Eine Art Sozialdiät. Sie weist ein ebenso großes „Euphoriepotenzial“ auf „wie ein geschrumpfter Hintern nach der South-Beach-Diät oder eine gertenschlanke Taille nach Atkins. Einsamkeit ist mentales Bodybuilding.“ Wir werden liebreizendere Menschen dadurch. Wir werden ich.

Poschardt entwirft sein neues Werk als Mischung aus „Brigitte“-Dossier, Lebenshilfe-Leitfaden für urbane Mittelschichtkinder und Selbstbekenntnis. Er wollte ein persönliches Buch machen: „Ich bin einsam und glücklich. Dies vorneweg.“ So fängt er an: direkt und ehrlich. Und dann ein bisschen Analyse: „Alleinleben ist ein sozialstatistischer Befund, Einsamkeit ein psychischer Zustand. Man kann allein sein und nicht einsam. Einsam und nicht alleine.“ Das Buch enthält viele schöne Einsichten. Zum Beispiel, dass Einsamkeit ein Kraftfeld ist. Oder dass sie Ruhe, Schönheit und Konzentration verspricht. Und ein Motor ist sie auch noch. „Das Ende der Einsamkeit muss Liebe sein. Sie ist das süßeste Geheimnis unserer Existenz. Das natürliche Paradies, durch kein künstliches zu ersetzen – außer die japanische Modedesignerin Rei Kawakobu würde es entwerfen.“

Poschardt spricht seine Leser direkt an: „Ich bade in Isolation, statt in Menschen. Baden Sie mit mir.“ Als Einsamer, der keineswegs unglücklich ist, über die Einsamkeit als Glück sprechen: wie großartig. Alleine, ganz ohne das nötige Kleingeld geht es dabei nicht. Einsamkeit, ein Luxusphänomen. „Je schöner das Auto, um so lieblicher kann ein einsamer Abend hinter dem Steuerrad sein. Röhrt der Motor und kitzelt die Beschleunigung, kann der kleine Junge im Mann einen Winterabend in einer Traumwelt verbringen.“ Poschardt kennt sich auf diesem Gebiet aus, hat auch schon ein Buch darüber geschrieben. „Die Fenster des Automobils sind die Monitore zur Außenwelt. Der Pilot inszeniert diese Welt, ist Kameramann, Regisseur und zugleich Publikum.“

Apropos Männer: Poschardt ist Popstar und Fan, Querdenker – und Feminist. „In Deutschland haben einsame Frauen noch das größte Emanzipationspotenzial. Insofern kann man dieses Buch auch als feministisches lesen.“ Zumal Männer mit Einsamkeit schlechter umgehen als Frauen.

Alle zehn Seiten fallen einschlägige Namen. Schopenhauer, Žižek, Kafka und Carrie aus „Sex and the City“. Überhaupt geht es darum, einen Diskurs loszutreten. „Ungares Zeug provokant vortragen und dabei ernst dreinblicken, während man sich schieflachen möchte, entspannt und schont die geistigen Verdauungsorgane.“ Dass „der Mist“ dadurch meist nicht wertvoller wird, weiß Poschardt auch. Er nennt es selbstironisch „die pointierteste Parodie auf jede Form von Kommunikation“.

Ulf Poschardt: Einsamkeit. Die Entdeckung eines Lebensgefühls. Kabel by Piper. München 2006. 185 Seiten, 14,90 €.

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