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Hausherr mit Teepavillon. Ulrich Eckhardt in seinem Zehlendorfer Garten.

© Thilo Rückeis

Ulrich Eckhardt: Für immer neugierig

Ulrich Eckhardt hat 27 Jahre lang die Berliner Festspiele geleitet – und dann ein zweites Leben als Pianist, Organist und Galerist begonnen. Ein Besuch in Zehlendorf anlässlich seines 80. Geburtstags.

Die beiden Mandelbäumchen, die an der Terrasse stehen, waren ein Geschenk von Claudio Abbado. Als der italienische Dirigent 2002 neben seinem Chefposten bei den Berliner Philharmonikern auch die schöne Dachgeschosswohnung am Ludwigkirchplatz aufgab, da brauchten die Kübelpflanzen ein neues Zuhause. Ulrich Eckhardts Zehlendorfer Domizil mit dem weitläufigen Garten schien dem Maestro ein guter Platz. „Nachdem ich die Bäumchen eingepflanzt hatte, dachte ich mir: Hoffentlich überleben sie wenigstens den ersten Winter“, erzählt der Beschenkte. „Zu meiner Überraschung aber konnte ihnen das Berliner Klima nichts anhaben. Sie halten durch und sind stets die ersten Pflanzen, die im Frühjahr blühen.“

Wenn Ulrich Eckhardt am linken der beiden Steinway-Flügel sitzt, die sich in seinem Wohnzimmer aneinanderschmiegen, dann kann er die zartfarbige Pracht besonders gut beobachten. Jetzt im Mai tragen die Abbado-Bäumchen allerdings schon kleine Früchte. Dafür präsentieren sich die Rhododendronbüsche nun in prallen Weiß-, Rot- und Lilatönen, strahlt der Goldregen, duften die Heckenrosen. Der Architekt Paul Mebes hat die Backsteinvilla 1912 für den Bildhauer Walter Schmarje geschaffen, im damals innovativen Landhausstil, der Natur zugewandt, mit großen Erkern, einem von Holzsäulen getragenen Balkon und dieser charakteristischen „masurischen“ Dachform, die aussieht, als habe man dem Gebäude einen umgedrehten Bootsrumpf aufgesetzt. Im Garten steht ein filigraner Pavillon unter alten Bäumen, die charmant verwilderte Rasenfläche ist von Gänseblümchen gesprenkelt.

Ulrich Eckhardt lädt zum Tee auf der ovalen Terrasse: Weiße Holzmöbel, blau karierte Decke, Geschirr mit Streublumenmuster, selbst gebackene Küchlein – südenglischer kann sich Berlin nicht anfühlen. „Leider habe ich fast gar keine Zeit, um den Garten zu genießen“, sagt der Hausherr beim Einschenken, „ich muss gerade so viel üben.“ Zu seinem 80. Geburtstag am morgigen Mittwoch schenkt er sich nämlich selber einen Klavierabend. Mit teuflisch schweren Werken von Brahms und Liszt, Schubert und Schumann. Nicht in Berlin, sondern im Münsterländischen findet der Auftritt statt, im Dormitorium des Klosters Bentlage, wo der 1934 Geborene schon als Pennäler in die Tasten gegriffen hat. Gleichzeitig gilt es, eine umfassende Ausstellung mit Werken seiner 2011 verstorbenen Frau, die sich als Malerin Johanna Ems nannte, zu eröffnen.

Ulrich Eckhardt hat tatsächlich das geschafft, was ihm kaum einer zutrauen wollte: Nach 27 Jahren als Intendant der Berliner Festspiele, in denen er sich als kultureller Oberhirte der Mauerstadt begriff, ganzjährig im Dienst, unermüdlich seine Netzwerke spinnend, vor allem in den schwer zugänglichen Ostblock – nach Polen und in die Sowjetunion –, stets auf der Suche nach Trends in allen erdenklichen Genres, nach einer erfüllten Impresario-Karriere also, hat er tatsächlich ein zweites Leben angefangen, ist nach der Abgabe der Macht nicht tief ins schwarze Loch der ungewollten Freizeit gestürzt, sondern hat noch einmal ganz neu angefangen, als Künstler aus Liebhaberei, als neugieriger, unakademischer Interpret an der Orgel und am Klavier.

Künstler zu werden, das war auch ganz früh im Leben des vielfach Begabten eine Option gewesen. Neben dem Jurastudium hat Ulrich Eckhardt die Musikhochschule besucht, eine Kapellmeisterausbildung gemacht, die ihm die Möglichkeit eröffnete, Karajans Proben zu besuchen. „Wir waren so fasziniert von seiner handwerklichen Präzision, dass ich zusammen mit einem Kommilitonen begann, ein ,Lehrbuch des Dirigierens‘ zu schreiben, in dem jede Handbewegung unseres Idols minutiös festgehalten war“, erzählt Eckhardt lachend. „Da kam eben meine juristische Systematisierungswut durch. Das Manuskript habe ich heute noch.“

Dass er sich damals gegen eine Boheme-Vita und für die Staatsexamina entschieden hat, musste Ulrich Eckhardt nie bereuen. Denn der seriöse Abschluss führte ihn – über den Umweg als Bonner Kulturdezernent – an die Spitze der Berliner Festspiele. Da machte er dann die ganze Stadt zu seiner Bühne. Er war der Erste, der den Ordnungskräften die Erlaubnis abrang, den Ku’damm für ein spartenübergreifendes Kulturereignis sperren zu dürfen. Theatertreffen, Jazzfest, Berlinale, die Festwochen und vor allem die großen Ausstellungsprojekte gaben ihm die Möglichkeit, die Kunst in ihrem geschichtlichen Kontext zu zeigen, Welt und Werk zusammenzudenken. „Die jüdischen Lebenswelten“, die große Preußen-Schau 1981, die Topographie des Terrors, die 750-Jahr-Feier, die „Reise nach Berlin“ im Hamburger Bahnhof – das sind Fixpunkte im kollektiven Gedächtnis der geteilten Stadt geblieben.

1973 konnte Ulrich Eckhardt sein West-Berliner Amt antreten, in der spannendsten Periode der Nachkriegsgeschichte überhaupt. Weil eine geistige Aufbruchstimmung herrschte, weil sich mit Kunst noch Tabus schleifen ließen, weil es vieles gab, gegen das man sein konnte, und noch mehr, für das es sich lohnte zu kämpfen. Stundenlang könnte Ulrich Eckhardt höchst unterhaltsam Anekdoten erzählen aus diesen spannenden Jahren. Von Künstlern, Konzepten und Konflikten, von der Beschaffungskreativität beim Umgang mit den Berliner Senatsstellen – und den Machthabern auf der anderen Seite der Mauer. Als 1961 die Betonelemente am Brandenburger Tor eingepflanzt wurden, stieg er mit seiner Frau auf eine Bank am Pariser Platz, als 1989 die ersten Löcher in den „antifaschistischen Schutzwall“ gerissen wurden, schaute das Ehepaar Eckhardt wieder von derselben Stelle aus zu.

Bis zur Jahrtausendwende blieb Ulrich Eckhardt noch Festspiel-Intendant, sicherte der Berlinale ihre Hauptspielstätte im Musicaltheater am Potsdamer Platz, entwickelte Projekt um Projekt, mischte sich weiter in alle Bereiche des öffentlichen Lebens ein – und machte sich dann auf, das „Universum Johann Sebastian Bach“ zu erobern, als Rentner mit Berufung. Er ließ sich vom Pfarrer seiner Zehlendorfer Gemeinde den Schlüssel zur Kirche geben, übte Tag und Nacht, tastete sich hinein in die Feinheiten der Pfeifenwerke. In Dahlem wirkt er regelmäßig als Organist ehrenhalber, im Umland gibt er Benefizkonzerte, um historische Instrumente zu retten.

Eine beachtliche Anzahl von CDs hat er in den letzten Jahren aufgenommen, parallel zu seiner Konzerttätigkeit betreibt er eine Galerie in Weißensee, schreibt Aufsätze, gibt Bücher heraus, startet Publikationsreihen. Wenn er sich jetzt zu seinem runden Geburtstag einen Klavierabend schenkt, der „letzte Werke“ versammelt, sollte man daraus also keine falschen Schlüsse ziehen: Der leidenschaftliche Kulturmensch Ulrich Eckhardt wird auch weiterhin von sich hören lassen. „Natürlich habe ich vor jedem Auftritt Lampenfieber“, sagt er, blinzelt in die Nachmittagssonne und gießt dem Gast noch eine Tasse Tee ein. „Das Überwinden der Versagensangst aber, die maximale Konzentration, die beim Spielen zwingend nötig ist, das alles gibt mir jedes Mal auch enorm viel neue Energie.“

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