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Kultur: Um der unerträglichen Gefühlslosigkeit des Lebens zu entkommen, gründen zwei Männer eine Selbsthilfegruppe der sonderbaren Art

Jack kann nicht mehr schlafen. Tagsüber hockt er als Sachbearbeiter in der Büro-Wabe eines Konzerns, abends schwärmt er davon, seine Wohnung exakt so einzurichten, wie es im Ikea-Katalog steht.

Jack kann nicht mehr schlafen. Tagsüber hockt er als Sachbearbeiter in der Büro-Wabe eines Konzerns, abends schwärmt er davon, seine Wohnung exakt so einzurichten, wie es im Ikea-Katalog steht. Ein sicherer Arbeitsplatz und ein aufgeräumtes Heim - es muss mehr geben im Leben. Das ahnt auch Jack. Kein Wunder, dass eine unbestimmte Sehnsucht in ihm bohrt.

Jack kommt auf einen sonderbaren Trip: Er besucht Selbsthilfe-Gruppen. Hodenkrebs, TBC - je schlimmer die Krankheit, desto besser. Jack wird Leidens-Tourist. Bei den Verzweifelten findet er noch so etwas wie menschliche Regung. Endlich hört auch ihm mal jemand zu. Das tut auch Tyler, den Jack im Flugzeug kennen lernt. Nach ein paar Bier bittet Tyler ihn um Prügel.

Nicht dass dieser Tyler masochistisch veranlagt wäre. Er hält Schmerz nur für die letzte Möglichkeit, überhaupt noch etwas zu spüren in einem Leben, das von Designer-Marken, Kreditrahmen und Festplattenkapazitäten regiert wird. Tyler tut einige Dinge, für die zivilisierte Männer sich schämen: saufen, Pornos gucken, gemein zu Frauen sein und eben sich schlagen. Tyler behauptet, er sei vom Fernseher aufgezogen worden. Er, der in einem schimmeligen Abbruch-Haus wohnt, sagt: "Dinge, die du zu besitzen glaubst, besitzen dich." Er ermuntert Jack, seine dunkle Seite auszuleben. Die beiden gründen eine Selbsthilfegruppe der sonderbaren Art: den "Fight Club".

Vereinsziel Nummer eins: die Sau raus lassen. Die Mitglieder dieses Männerbundes hauen sich nach Kräften in die Fresse. Ohne Handschuhe, ohne Regeln. Im Grunde sind sie kleine Jungs, die vor der Leere des modernen Lebens flüchten. Sie tun, was viele Menschen ersehnen: die Verantwortung abgeben und sich den Instinkten überlassen. Aus dem Haufen von Rüpeln wird eine straff organisierte Untergrundarmee, die Krieg führt gegen jene Mächte, die Männer zu "Sklaven mit weißen Kragen" machen und sie daran hindern, richtige Kerle zu sein.

David Fincher forscht gern in den Abgründen der Seele. Nach "Alien 3", der düstersten Folge des Sequels, nahm er sich in seinem Thriller "Sieben" die Todsünden vor. Eine kunstvoll ausgeleuchtete Horror-Schlachtplatte. Nur blieb nach den pittoresken Leichen die Frage: Wozu? In "The Game" findet Michael Douglas als selbstherrlicher Milliardär durch ein diabolisches, aber weitgehend unblutiges Spiel den Weg zurück zu menschlichen Werten. Finchers nachvollziehbarster Film. Der ehemalige Werbe- und Video-Regisseur schreibt den Tabubruch in großen blutroten Lettern auf seine Fahne und läßt sie flattern im Winde der Zivilisationskritik.

Nun hat er eine Gewaltorgie in Endzeit-Stimmung angerichtet, die mit Ur-Ängsten und diffusen Weltverschwörungstheorien spielt. Die Warenwelt betrügt uns alle, sagt Fincher. Sie redet uns ein, wir würden Models, Film- oder Rock-Stars, wenn wir nur hart genug arbeiten, ins Fitness-Studio gehen - und die richtigen Produkte kaufen. Für die meisten geht der Traum nicht in Erfüllung. Fincher glaubt offensichtlich, er sei der erste, der das bemerkt hat. Er hält die Erkenntnis für so kostbar, dass er im Presseheft zum Film jede Inhaltsangabe und Deutung verweigert und nur die Namen von Schauspielern und Team nennen lässt.

Sicherlich liegt Ironie darin, ausgerechnet die perfekte Muskulatur von Brad Pitt (er spielt den Tyler) in den Dienst dieser archaischen Fantasie zu stellen. Ebenso fein ist es, den blassen Edward Norton (Jack) zuerst in eine Selbsthilfegruppe für Hoden-Amputierte zu schicken - denn wenn dieses Büro-Würstchen und seine Kampfkumpel eines nicht haben, dann Sex-Appeal.

Bret Easton Ellis, dessen Roman "American Psycho" nächstes Frühjahr als Film starten soll, badet die Konsumkultur ebenfalls in Blut. Er lobt Finchers Film als "ein orgiastisches Pop-Meisterwerk". Aber ist nicht alles Pop, was nur mit entsprechend viel Geld aufgeblasen wird? Ist Pop nicht auch gleichbedeutend mit massenhaftem Konsum? "Fight Club" ist kein genialer Wurf wie Oliver Stones Mediensatire "Natural Born Killers". Er unterscheidet auch nicht zwischen individueller und struktureller Gewalt. Der Gewaltfrage versucht er sich am Ende sogar ganz zu entziehen, indem er Tyler und die Metzelei einfach als die unterdrückte Kehrseite ein und derselben Person darstellt. War nur eine Metapher. Aha. Der Film taumelt durch einen Ring, der drei Nummern zu groß für ihn ist. Am Ende bleibt die alte Erkenntnis, dass Biedermänner die schlimmeren Brandstifter sind. Muss man dafür 139 Minuten im Kino sitzen und zusehen, wie Menschen sich gegenseitig die Gesichter deformieren? Eine Frage, die sich auch bei vielen Kriegsfilmen stellt, die vorgeben, Anti-Kriegsfilme zu sein.

Fincher selbst nennt sein Werk eine "dunkle Komödie" und schwärmt in Interviews mit besonderer Vorliebe von dem Adrenalinstoß, der durch den Körper fahre, wenn einem ins Gesicht geschlagen wird. Das klingt weniger nach Lebenserfahrung als nach kalkulierter Provokation. So etwas regt, besonders in den USA, die Sittenwächter auf und gibt ordentlich Publicity. Wind für Finchers blutige Fahne. Die 65 Millionen Dollar für die Produktion müssen schließlich auch wieder reinkommen.In 21 Berliner Kinos; Originalversion im

Babylon A und im Cinemaxx Potsdamer Platz

Ralph Geisenhanslüke

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