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Kultur: UN-Konferenz gegen Rassismus: Immer die anderen

Die Schusswunde am Hinterkopf ist noch nicht ganz verheilt. Wie durch ein Wunder hat die Kugel das Gehirn verfehlt und ist durch den Kiefer wieder nach außen getreten.

Die Schusswunde am Hinterkopf ist noch nicht ganz verheilt. Wie durch ein Wunder hat die Kugel das Gehirn verfehlt und ist durch den Kiefer wieder nach außen getreten. Doch Obed mag über den furchtbaren Zwischenfall im Johannesburger Vorort Hillbrow nicht mehr sprechen. Eine Gruppe schwarzer Südafrikaner hatte ihm Ende letzten Jahres dort aufgelauert und ohne Vorwarnung attackiert. Gleich nach der Entlassung aus dem Hospital ist er mit seinen paar Habseligkeiten nach Kapstadt geflohen. Hier verkauft der illegale Immigrant aus Ghana nun auf dem Flohmarkt Ashanti-Statuen und andere Souvenirs aus seiner westafrikanischen Heimat.

Obeds Schicksal zeigt: Fremdenfeindlichkeit und Intoleranz sind allgegenwärtig. Um zu vermeiden, dass sie von den beiden dominanten Themen der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus - der Sklaverei und dem arabisch-israelischen Konflikt - völlig überlagert werden, haben die Organisatoren des Forums insgesamt 24 Rassismusopfer ausgewählt, die den Delegierten jeden Tag ihre Erfahrungen beschreiben. Es sind einfache Menschen aus Tibet, Indien, Rumänien, Mexiko, den USA und Israel, darunter aber auch der arabische Vater, dessen kleiner Sohn vor wenigen Wochen direkt neben ihm erschossen wurde.

Ob das Vorhaben der Veranstalter gelingt, ist zu bezweifeln. Wie emotional gerade die Zionismus-Frage bleibt, wurde in Durban auch am Samstag deutlich. Trotz der angeblichen Konzession von PLO-Chef Arafat, im Abschlussdokument nun doch auf eine direkte Verknüpfung von Zionismus und Rassismus zu verzichten, scheint der Streit um den endgültigen Wortlaut damit nicht beigelegt. Fast könnte man glauben, er sei nun erst richtig entbrannt.

Annans Versuch, zu entpolitisieren

Eine Reihe islamischer Staaten hat nun jedenfalls vorgeschlagen, im Abschlusstext von "rassistischen Praktiken der Besatzungsmacht" zu sprechen und von "rassischer Diskriminierung gegen die Palästinenser". Allerdings dürfte eine Passage, die Israel so eindeutig zur Zielscheibe der Konferenz macht, sowohl bei Amerikanern als auch bei Israelis auf Ablehnung stoßen.

Vor allem UN-Generalsekretär Kofi Annan versucht derweil nach Kräften, die Konferenz stärker zu entpolitisieren. Sie müsse, wiederholte er gestern sichtlich genervt, die unterschiedlichen Formen des Rassismus beleuchten und dürfe nicht an einzelnen Fragen hängen bleiben: Vom Genozid und "ethnischen Säuberungen", die oftmals Nachbarn zu Todfeinden machten, bis hin zu den Rechtssystemen, die oft unfair gegen bestimmte Hautfarben und Gruppen diskriminierten, müsse der Ausgewogenheit halber alles auf den Tisch, forderte Annan.

Doch darauf deutet wenig hin. Bereits jetzt monieren einige Menschenrechtler, dass ein Großteil der in Durban anwesenden 194 Regierungen nicht etwa mit einem Programm, sondern einem Anti-Programm angetreten sei - und zwar mit einer Liste von Themen, die sie unter keinen Umständen diskutieren wollten.

Indien: Unsere Angelegenheit

Indien hat zum Beispiel hart daran gearbeitet, dass kein Konferenzdokument spezifisch auf die Diskriminierung seiner Bevölkerung durch das Kastensystem verweist, das mehrere Zehnmillionen von Menschen in Südasien zu niederen Jobs verdammt. Die indische Regierung sieht in diesem Sozialsystem eine "interne Angelegenheit" und behauptet, dass unterschiedliche Kasten nichts mit Rassismus zu tun hätten.

Auch China versucht zu verhindern, dass seine Herrschaft in Tibet mit dem Rassismus verknüpft wird. Und auch eine Reihe osteuropäischer Staaten mit einer größeren Roma-Bevölkerung will alle Diskussionen über das Schicksal der Zigeuner in ihren Grenzen von vornherein unterbinden.

Unter denjenigen, die ihre Geschichte auf der Konferenz erzählen, war gestern auch ein Ehepaar aus Ruanda: Immaculee Mukamuhirwa ist eine Tutsi und François-Xavier Nsanzuwera ein Hutu. Obwohl beide dem Genozid auf wundersame Weise entronnen sind, haben sie Teile ihrer Familien verloren: Mukamuhirwa gleich beide Eltern, vier Schwestern und zwei Brüder, Nsanzuwera seinen Vater, den die Schlächter für einen Tutsi hielten.

Beide führen heute ein, wie sie sagen, "unter den Umständen glückliches Leben". Für ihr Land sehen sie indes wenig Hoffnung: François weiß nicht wie die beiden Volksgruppen nach dem dort gesäten Hass jemals zusammenfinden werden.

"Die größten Feinde der Afrikaner sind die Afrikaner selbst", sagt auch Obed, der von der Konferenz nichts Konkretes erwartet. "Wir werden auch nächste Woche wieder von unseren schwarzen Brüdern hier beleidigt werden", meint er. Auch unter vielen seiner Freunde aus Ghana herrsche permanente Angst vor neuen Übergriffen. Die von Libyens Staatschef Gaddafi angestrebte Afrikanische Union hält er jedenfalls für eine Totgeburt. Obed hat von den blutigen Pogromen gehört, die es in Libyen vor einem Jahr gegen Gastarbeiter aus Niger gegeben hat und denen fast 200 Schwarzafrikaner zum Opfer fielen. Der Grund: das Gerücht, ein Schwarzer habe ein libysches Mädchen vergewaltigt.

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