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Kultur: Und sprach kein Wort

Böse Filmbranche: Mark Ravenhills „Produkt“ an der Berliner Schaubühne

„Das Herz ist ein größeres Organ als das Hirn“, belehrt ein gescheitelter Filmproduzent ein mutmaßliches Vorabendserien-Girlie über das Grundgesetz des Showbusiness. Wie ernst es ihm damit ist, bekommt in den folgenden sechzig Minuten leider nicht nur jenes Blondlöckchen, sondern auch das Publikum des Schaubühnen-Studios gnadenlos zu spüren. Man muss sich Mark Ravenhills Stück „Das Produkt“ – von Thomas Ostermeier in deutscher Erstaufführung inszeniert – tatsächlich als eine einzige Hirnlähmungsmaßnahme mit den Mitteln der Kommerzkultur vorstellen.

Konkret läuft das so: Der Produzent (Jörg Hartmann) erzählt dem Blondlöckchen beim Milchkaffee im hippen Coffee-Shop (Bühne: Jan Pappelbaum) ein Drehbuch, für dessen Verfilmung er es als Hauptdarstellerin gewinnen will. Der Plot ist so ausgesucht dämlich, dass selbst das – wie wir aus gutem Grund mutmaßen dürfen – durch Charakterrollen nicht eben verdorbene Girlie (Simone Kabst) wechselweise die Löckchen schütteln, süffisant lächeln und die faltenfreie Stirn runzeln muss. Es handelt sich um eine Räuberpistole, die Kapital aus dem internationalen Terrorismus zu schlagen gedenkt und sich zu diesem Zweck in der konsequenten Unterbietung sämtlicher Grenzen des vertretbaren Geschmacks versucht. Die britische Jetsetterin Amy lernt im Flugzeug einen dunkelhäutigen Mann kennen, der Mohammed heißt, mit Messer und Gebetsteppich hantiert und dabei „so anders riecht“ und so „animalischen Sex“ verheißt, dass sie ihn sogleich in ihr Londoner Loft abschleppt, wo sie denn auch plangemäß „kommt und kommt und kommt und kommt“. Zwar muss Amy nach diesem „Orgasmus ihres Lebens“ erst einmal weinen, weil ihr im Angesicht von Messer und Gebetsteppich plötzlich ihr Ex-Lover einfällt, der beim Anschlag aufs World Trade Center starb. Aber der nächste animalische Mohammed-Orgasmus kommt bestimmt, und mit ihm ein Al-Qaida-Mitglied nach dem anderen in Amys schicke Bude.

Ungefähr siebenundzwanzig Akt- und siebzehn Softpornoszenen später wird Amy ihren Geliebten aus Guantanamo befreien, wobei dieser leider verendet.

Der Produzent wird für diesen Schwachsinn vom Girlie mit Schweigsamkeit gestraft: Es spricht den ganzen Abend über kein einziges Wort. Das allerdings ist auch gar nicht nötig in der ach so narzisstischen, sexistischen World of Entertainment: Der gemeine Funktionsträger braucht keine Partnerin, sondern lediglich eine Adressatin, um sich mit seinen Verbalergüssen orgiastisch aufzuputschen. Jörg Hartmann legt sich in dieser Mission schweißtreibend ins Zeug und changiert vorbildlich zwischen schmieriger Heranschmeißerei an den Lockenkopf und tiefer, selbstvergessener Ergriffenheit von der eigenen Performance.

Mark Ravenhill, der mit seinem Drama „Shoppen und Ficken“ Thomas Ostermeier einst zum Baracken-Durchbruch verhalf, wollte offenbar den worst case einer Hollywood-Verhebung am Terrorismus persiflieren. Das Problem ist nur, dass die Realität solche dramatischen Parodien längst eingeholt, wenn nicht überholt hat: Das Konglomerat aus Zynismus, Sexismus, Rassismus und kriminellem Mangel an Sachverstand bei gleichzeitiger ungebrochener Selbstüberschätzung ist längst ein derart fester Bestandteil des (kulturellen) Alltags, dass man sich fragt, wen Ravenhill damit hinter dem Ofen hervorlocken will.

Im „Spiegel“ hat sich der Dramatiker, der in der Uraufführung beim Edinburgh-Festival den Produzenten mit feiner Lust am Filmbranchenfeindbild selbst spielte, erklärt: Der Zuschauer solle merken, dass er diesen schrecklichen Film, der da entworfen wird, wirklich sehen will. Nun weiß man über den Inhalt der anderen Zuschauerköpfe ja nicht Bescheid. Im Kopf der Rezensentin jedenfalls machte sich statt eines Déjà-vu mit eigenen Ressentiments und politisch unkorrekter Trashlust neben gepflegter Langeweile ein ganzes Empfehlungsarsenal bereits vorhandener Kunst- und Kulturgüter breit, die diesbezüglich nichts zu wünschen übrig lassen.

Wieder am 26. 11. sowie am 5., 7., 8. 12.

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